Philosophisches Porträt von Mensch und Tier

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amara5 Avatar

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Der Roman „Das Vogelhaus“ von Eva Meijer ist 2018 im btb Verlag erschienen und verwebt sanft und philosophisch Fiktion und Fakten rund um das Leben der englischen Vogelkundlerin Len Howard (1894-1973) und deren Vogelbeobachtungen.

„Lennie“ wächst mit ihren drei Geschwistern wohlhabend, behütet und kunstinteressiert in Wales auf. Der Vater ist Dichter und von ihm hat sie auch den liebenden Blick für Vögel. So kreist die treue, zutrauliche Krähe Charlie um das Elternhaus, während Lennie sich das erste Mal unglücklich verliebt, die Mutter zuviel trinkt oder im Haus musiziert wird. Schon früh schreibt Len ihre Vogelbeobachtungen auf - hegt aber den inneren Wunsch, professionelle Geigerin zu werden. Trotz Gegenwind wagt sie den Schritt aus dem wohlbehüteten Familienhaus und wird in einem Londoner Orchester Geigerin.

Zuerst froh weg von den Eltern und deren Erwartungen zu sein, wirkt Len in der lärmenden Großstadt immer unglücklicher und eingeengter. „Beim Spielen geht es mir gut, ansonsten bedrückt mich das Orchester und die Stadt“. Sie stört das Getratsche ... „Menschen sind sich gar nicht im Klaren, wie viel sie reden, wie laut sie sind.“

Zuflucht findet sie bei ihrer ersten Liebe, dem Maler Thomas und bei Ausflügen in Parks, wo sie weiterhin ihre Vogelbeobachtungen aufzeichnet. Doch Thomas ist untreu - nicht der einzige Grund für Len, ihn nicht zu heiraten. Auch sie ist ein Freigeist und will in Bewegung bleiben - introvertiert, aber doch mit einem zähen Willen und einer Portion Sturheit.

Dank eines Erbes wagt sie den ersten Schritt in die Abgeschiedenheit einer Hütte auf dem Land. Schritt für Schritt löst sie sich immer mehr aus den Fesseln der Stadt, der unglücklichen Liebe und dem festen Sitz im Orchester - und erwirbt ihr „Bird Cottage“ in Ditchling, East Sussex.
Dort widmet sie sich nur noch ihren Studien und Beobachtungen wilder Vögel in ihrer natürlichen Umgebung, lebt im Einklang mit der Natur. Allen voran die Vogel-Kommunikation interessiert sie. Kohlmeisen, Rotkehlchen, Sperlinge, Amseln, Drosseln, Finken und Blaumeisen fliegen bei ihr durchs offene Fenster ins Wohnzimmer ein und aus, übernachten bei ihr, klopfen ihre Zeichen nach.
Abgeschieden und streng, so wenig Besucher wie möglich in ihr Vogelhaus zu lassen, fassen die Vögel Vertrauen zu ihr. Len schreibt zahlreiche Zeitungsartikel und schließlich zwei sehr erfolgreiche Bücher - Vogel-Biografien, in der sie das Verhalten einzelner Vögel herausgriff, um ihre individuelle Intelligenz zu beweisen. Die treuen Kohlmeisen Glatzköpfchen, Krummschwänzchen, Flocke, Monokel und allen voran ihr Sternchen begleiten sie über Jahre.
Für den Vogelschutz setzt sich Len bis zu ihrem Lebensende ein - sie starb mit 79 Jahren in ihrer „Vogel-Herberge“.

Der Philosophin und Schriftstellerin Eva Meijer („Die Sprachen der Tiere“) ist ein ruhiges, zartes und sensibles Meisterwerk gelungen. Ein warmes Porträt einer eigensinnigen, klugen Frau, der man gerne auf ihrem Lebensweg folgt. Die Sprache ist bildlich und doch klar und verständlich auf den Punkt gebracht. Das Zwischenmenschliche spickt Meijer gekonnt mit philosophischen Ansätzen, was mir sehr gut gefallen hat. Das Innenleben von Len Howard und ihr feinsinniger Umgang mit Mensch und Tier wird toll herausgearbeitet und man kann sie gut nachvollziehen.
Die Beobachtungen in der Natur und bei den Vögeln führt die Autorin ausführlich aus – was eine innere Entspannung und Entschleunigung beim Leser bewirkt. Fast meint man, die Vögel bildlich vor Augen zu haben, ihre Charaktere und Knopfaugen, das Flattern der Gefieder.
Die Autorin wechselt die Kapitel ab – gegliedert in Jahreszahlen folgt man dem Leben Howards und gegliedert in dem Namen „Sternchen“ den detaillierten Vogelgeschichten Howards. Meijer hat dabei Fakten aus Howards Aufzeichnungen und reine Fiktion vermischt – und das so gekonnt, dass man sich als Leser wünscht, das alles sei so passiert. Ein warmes Porträt einer Frau, die ihren Wunsch verwirklicht und einem sehr wichtigen Thema die Augen öffnet - dem Vogelschutz. Der Buchumschlag ist wunderschön gestaltet und erinnert an die Aufzeichnungsmappen Howards - am Ende des Buches sind wenige schwarz-weiß-Fotos zu sehen - anscheinend Sternchen & Co!

Nach dem Lesen der Lektüre sehe ich selbst die kleinen gefiederten Tiere mit ganz anderen Augen – als individuelle Charaktere mit charmanten Eigenarten!

„Es gibt Menschen, die noch nie einen Vogel in der Hand gehalten haben. Die Federn, die Verletzlichkeit, wie viel Leben in so etwas Kleinem stecken kann.“