Magischer Realismus

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„Bring mich zur Königin“, sagte Shay.

Der Name Mat Osman kam mir seltsam vertraut vor. Und – aha! - er ist im Hauptberuf der Bassist der Britpopband „Suede“ (der ‚Donnerstagsmordclub‘ - Bestsellerautor Richard Osman ist sein Bruder). Ich gebe zu, dass mich das prächtige Cover des Romans „Das Vogelmädchen von London“ neugierig machte. Überzeugt hat mich dann der Inhalt, da mich der Autor aus meinem ‚Lesetrott‘ reißen konnte. Als Vielleserin habe ich oft das Gefühl, immer wieder das Gleiche in leicht abgewandelter Form zu lesen; Mit dem „Vogelmädchen“ präsentiert Osman jedoch ein kreatives Potpourri, das ich so nicht erwartet hatte – der im Elisabethanischen Zeitalter angesiedelte Fantasy – Jugendbuch-Histomix (der Autor nimmt sich einige Freiheiten) ist faszinierend!
Ein auktorialer Erzähler führt durch das Geschehen, Stil und Sprache sind solide. Die temporeiche Exposition macht Lust auf mehr - das Leben in London ist insbesondere für Straßenkinder im siebzehnten Jahrhundert hart. Die Falknerin & „Aviscultarierin“ Shay arbeitet als Botenmädchen und sie ist in der Lage, mit Vögeln zu kommunizieren und in die Zukunft zu blicken. Sie verliebt sich in den Schauspieler Nonesuch, der Teil der legendären Blackfriars - Theatertruppe ist, seit er als Junge entführt wurde. Zusammen gründen sie das Ghost Theatre, das schon bald die Aufmerksamkeit von Königin Elizabeth I. auf sich ziehen soll…

Passend zum Sujet ist die Erzählung ein Stück aus mehreren Akten. Die Protagonisten sind ungewöhnlich und interessant, der heimliche Star der Geschichte ist aber ganz klar der Moloch London. Das Pacing der Story fand ich aber etwas seltsam – einerseits hektisch, andererseits fast ein wenig langatmig. Am Worldbuilding hätte Mat Osman noch ein wenig feilen können, das Glaubenssystem der „Aviscultarier“ (sie beten Vögel an) blieb mir einigermaßen fremd; Die Sprache (bzw. die deutsche Übersetzung) war mir angesichts der Tatsache, dass es sich um einen historischen Roman handelt, stellenweise zu modern, etwa als der Protagonist sagt: „Zu Anfang stand Evans auch hinter dieser Idee; denn nichts macht eine gewisse Sorte von Kunden mehr an als ein piekfeiner Bursche im Kleid.“ (S.283).
Insgesamt hat mir die Geschichte aber gut gefallen, da nicht der x-te „Der Herr der Ringe“ oder „Game of Thrones“ – Verschnitt präsentiert wird.