Gefährlicher Baum der Erkenntnis

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Der junge Mediziner Norton Perina reist mit seinem Mentor Paul Tallent zur mikronesischen Insel Ivu'ivu, wo die beiden einem Menschenstamm begegnen, der körperlich nicht älter zu werden scheint. Offensichtlich liegt es daran, dass die Leute sich von einer bestimmten Schildkrötenart ernähren. Diese Erkenntnis behält Perina aber nicht für sich, sondern veröffentlicht sie und heimst damit jede Menge Ruhm und Anerkennung ein, bis hin zum Nobelpreis. Aber der Baum der Erkenntnis trägt giftige Früchte: Kurz danach wird die Insel regelrecht gestürmt, die Ruhe der Inselbewohner wird zerstört, Kommerz, Ausbeutung und Gier halten Einzug in das ehemalige Paradies.
Doch Forschungserfolg will Beifall, will mehr als nur Ruhm. Will mehr als nur die übliche Form der Liebe. Und so ist es nicht weit bis zum Verdacht der Pädophilie. Sein ganzes Genie nützt Perina nichts mehr, er wird des Kindesmissbrauchs bezichtigt und zu einer Haftstrafe verurteilt.
Schon zu Beginn liegen alle Karten auf dem Tisch. Deshalb geniesst der geniale Wissenschaftler auch à priori keine Lesersympathien. Doch führt Yanagihara uns immer tiefer in seine Person. Sie lässt Perina in einer Sprache erzählen, deren Sog man sich kaum entziehen kann und der einem trotz allem eine widerwillige Anerkennung abringt. Denn nach und nach lernt man den Menschen verstehen und begreift, wie eng Genie, Hochmut, Perversion und Verbrechen beisammen sein können. Immer wieder wird man gebeutelt zwischen Abscheu, Mitleid und Anerkennung. Doch man darf nie vergessen, wem man da zuhört, wenn die tiefe Stimme Perinas ertönt: doch nur einem gewissenlosen Scheusal, das sich mit allen Mitteln zu verteidigen versucht.
Wer sich beim Lesen gern in Komfortzonen bewegt, dem ist von diesem Buch abzuraten. Man muss den Stoff ertragen können, wie schon beim Erstlingswerk "Ein wenig Leben". Die Autorin spielt auf sämtlichen Klaviaturen menschlicher Stärken und noch mehr der Schwächen, bringt eine verwirrende Menge von Informationen und wissenschaftlichen Einzelheiten hinein. Vielleicht hätte ich mich in der Druckversion leichter zurechtgefunden, wo man immer wieder zurückblättern kann.
In diesem Hörbuch führen zwei sehr unterschiedliche Stimmen (die tiefe, ernste des genialen Wissenschaftlers Perina und helle, behutsam erzählende seines Mitarbeiters Dr. Ronald Kubodera) im Wechsel durch das umfangreiche, in reichhaltiger, farbig-plastischer Sprache erzählte Werk.