Familienbande in Gedanken

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stricki Avatar

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Eine Autorin wird bei einer Lesung von einer fremden Frau angesprochen. Dass sie ihre Halbschwester sei. Dieses Vorkommnis hinterlässt einen tiefen Eindruck auf die Protagonistin.

Ihre Gedanken schweifen in verschiedene Richtungen. Sie stellt ihre Beziehungen zur Ursprungsfamilie und ihrer eigenen Familie in Frage.
Sie wusste um diese tabuisierte Halbschwester und hat es doch verdrängt. Was nun, wo diese nun plötzlich aufgetaucht ist?

Julia Schoch schreibt wunderbar nah. Intensiv und intim, sie spricht aus, was man nicht unbedingt ausspricht, was aber bestimmt jeder schon mal gedacht hat. Was, wenn der eigene Ehemann noch irgendwo andere Kinder hat, so wie ihr Vater, ist der Gedanke nicht naheliegend? Wie war das für die eigene Mutter? Warum ist ihr Verhältnis zur "richtigen" Schwester so kompliziert?

Ein neues Familienmitglied verändert das fragile Familiengefüge. Die Protagonistin fürchtet sich. Was sich nun verändern wird? Wie soll sie reagieren nach ihrer ersten, überschwänglichen Reaktion?

"Wir bauen, was uns überrascht hat, in unser gewohntes Leben ein."(S.9) Der Roman beinhaltet so viele kleine, kluge Wahrheiten, so dass ich ihn immer wieder sinken ließ um über das Gelesene nachzudenken.

Es passiert nichts Spektakuläres in diesem Buch, es ist ein ganz normales Leben. Mit Beziehungen, die sich verändern, mit Menschen, die älter werden, sich trennen, Erinnerungen, die sich in der Rückschau plötzlich anders darstellen. Im Kopf der Protagonistin passiert eine ganze Menge, durch dieses Vorkommnis.

Und ich habe sie sehr gern dabei begleitet, begeistert und wissend genickt, habe den Faden aufgenommen und mit meinen eigenen Erfahrungen weiter gesponnen.

Das Cover passt perfekt zum Buch. Ernst und zurückhaltend. Nicht gefällig, dennoch von eigenwilliger Schönheit - es sprang mir sofort ins Auge.

Ich würde sagen, das Buch ist keine schnelle, leichte Kost - weil es tiefsinnig ist und damit zum Nachdenken anregt. Aber das ist etwas, was ich an Büchern ungemein schätze. Sie sollen mich fordern. Ich will mitfühlen. Ich will angeregt werden und weiter denken. Meine Leseempfehlung für Menschen, die das ebenfalls zu schätzen wissen.

Ich freue mich schon auf Teil 2 der Trilogie.