Feinsinnige Erzählung einer Familiengeschichte

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
ver.le.sen Avatar

Von

Auf einer Lesung wird die Autorin von einer Frau angesprochen: sie hätten denselben Vater. Später schreibt sie ihr, sie antwortet. Die ganze Situation bleibt stehen wie ein schwacher Abdruck eines doch so monumentalen Ereignisses. Dabei ist die unerwartete Begegnung der Startschuss für die Infragestellung eines ganzen Lebens.

Die feine Raffinesse des Romans liegt darin, dass er sich inhaltlich primär gar nicht mit dem „Vorkommnis“ beschäftigt. Als sei es nur eine Randnotiz. Die "Handlung" ist das emotionale Chaos, in das die Protagonstin gestürzt wird. Trotzdem wird es auf keiner Seite langweilig.

Erst im Laufe der Rückblicke der Ich-Erzählerin schält sich heraus, welch radikalen Einschnitt allein dieses neue Wissen auf ihr Leben hat. Der Blick auf ihre Beziehungen zu Eltern, Schwester, Ehemann und eigenen Kindern bekommt einen völlig neuen Winkel. Und was ¬sagt ihre so veränderte Vergangenheit eigentlich über sie selbst aus? Kann das Wissen darum ihre Gegenwart und Zukunft grundlegend verändern, obwohl es faktisch für sie keine Auswirkungen nach sich zieht?

Die Geschichte dieser Frau ist auch die der deutsch-deutschen Trennung, von Generationen- und Geschlechterkonflikten, Elternschaft und der Sehnsucht nach Macht über die eigene Geschichte.

Beeindruckend, wie Schoch es schafft, so viel auf so wenigen Seiten unterzubringen. Dabei zeigt sie Stilsicherheit und eine berührende Kombination aus Rohheit und schonungsloser Empfindsamkeit, die ich sehr mutig und ansprechend zu lesen fand. Die Geschichte hätte auch genau hier so stehen bleiben können, ein wenig unvollendet wie eben vieles im Leben. Da dies nur der Auftakt einer Trilogie ist, werden wir aber sicher bald mehr erfahren. Ich freu mich drauf.