Man ist nie weit genug entfernt

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wilde hummel 1 Avatar

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Das Buchcover zeigt das Portrait einer ernsten, distanziert blickenden Frau. Das Bild passt auch perfekt zu der Hauptprotagonistin in Julia Schochs neuem Roman. Wobei der Roman eher eine Aneinanderreihung von Gedanken der Ich-Erzählerin ist und als Autofiktion wie ein Tagebuch zu lesen ist. Das Vorkommnis ist das Auftauchen einer Halbschwester bei einer Lesung. Das ist die Aktion und die Erzählerin begibt sich in ihre innere Gedankenwelt, misstraut zunehmend der Wahrheit über die eigene Geschichte und der Ehrlichkeit von Familienvätern (auch des eigenen Gatten). Die Auseinandersetzung bleibt jedoch im Kopf der Protagonistin, die sich nicht real und wirklich auf ihre Mitmenschen einlässt. Schade, denn dem Buch fehlt somit der wichtige Teil, wenn Fiktionen sich in Aktionen auflösen, korrigieren und weitere Sichtweisen und Interpretationen einfließen. Beispielsweise weiß die Ich-Erzählerin von der schweren Erkrankung des Vaters, nimmt jedoch keinen Kontakt auf und belässt es der zweiten Schwester, sich zu kümmern. Auch mit dieser macht sie keinen Versuch, deren Distanziertheit zu ihr zu hinterfragen und eine Veränderung zu initiieren. Das Thema Halbschwester, Adoption, Familienkonstellation wäre ausreichend Stoff für eine vielschichtigen Familienroman. So bleibt die Biografie als Gedankenspiel irgendwie im Kopf der Erzählerin gefangen, literarisch durchaus lesenswert, mich hat sie eher gelangweilt und keinen Nachhall hinterlassen.