Das Wesen der Dinge und der Liebe

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regenprinz Avatar

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Dieses war mein erstes Buch von Elizabeth Gilbert und ich muss zugeben, dass mich ihre Art des Erzählens schon beeindruckt hat. Erstaunlich, dass sie es trotz der epischen Breite ihres Romans sowie der Fülle an Informationen und Details, die sie in der Handlung verpackt hat, schafft, mich auf über 700 Seiten niemals zu langweilen. Und das, obwohl die Geschichte dann in der zweiten Hälfte doch sehr anders verläuft, als ich gehofft hatte ...
Alma Whittaker ist jedenfalls eine Protagonistin, die auf mich stets lebendig wirkt und von der ich mir beim Lesen gut vorstellen konnte, dass es sie tatsächlich gegeben hat. Ein wissbegieriges und kluges Kind, das von seinem Elternhaus in dieser Hinsicht nicht nur gefördert, sondern auch wirklich gefordert wird - so unterhält sich die kleine Alma bei gesellschaftlichen Abendessen mit Wissenschaftlern und Gelehrten, stellt bald fest, welch großes Interesse sie an der Natur und ihren Vorgängen hat und doch ist gleichzeitig schon absehbar, dass es ihr mitunter an Trost und Herzenswärme fehlt. Dafür muss dann notfalls Hanneke, die holländische Haushälterin, herhalten.
Doch so intensiv Alma auch auf ihren Wissensgebieten vorankommt, so oft bleibt viel menschliches Miteinander auf der Strecke. Auch zu Prudence, ihrer angenommenen Schwester, die ja sehr abrupt in ihrem Leben auftaucht, ist das Verhältnis kühl und distanziert. Beide sind grundverschieden und beide haben es auf ihre Art schwer. Erst der quirligen Retta, die ebenfalls unverhofft auftaucht und sich eine Weile in ihrem Leben einnistet, gelingt es zeitweise, etwas Lockerheit und Spaß und Freundschaft zu vermitteln. Aber dieses Buch erzählt eben auch die Geschichte ihres Scheiterns und der weitere Verlauf der Handlung hat mitunter auch etwas sehr Deprimierendes.
Almas ganzes Leben, ihre umfassende Forschungsarbeit, die sehr eindringlich beschrieben wird, ihre winzigen Fluchten ins Bindezimmer, die über viele Jahre alles sind, was ihr Liebesleben betrifft, ihre spärlichen Hoffnungen auf Änderung, die dann leider doch immer verpuffen ... - ich hätte ihr einfach mehr Glück gewünscht. Ihre Worte ziemlich gegen Ende (als sie in hohem Alter als geschätzte Moos-Kuratorin in Holland und im Kreis ihrer verbliebenen Verwandten einen Platz für sich gefunden hat), dass sie der glücklichste Mensch der Welt sei - ich kann ihre Einschätzung weder richtig nachvollziehen noch teilen. Ja, sie hat ein außergewöhnliches Leben geführt, sie ist weit gereist und in Würde gealtert, sie war eine mutige und kluge und beharrliche Frau, die meinen vollsten Respekt hat. Aber sie war fast ihr komplettes Leben lang einsam und ihre wenigen Male, als sie versucht hat, zu lieben, wurde sie aufs Heftigste enttäuscht. Schön, dass Alma, die Romanfigur, am Ende für sich trotzdem ihren Frieden gefunden hat. Ich hätte in dieser Hinsicht allerdings gern viel mehr glücklichere Momente von ihr gelesen ...
Insgesamt fand ich dieses Buch aber wirklich lesenswert und gespickt mit interessantem Wissen und Verknüpfungen zur Realität. Ein Roman, der mir sicher in Erinnerung bleiben wird, genauso wie seine außergewöhnlichen Figuren und der geschliffene Sprachstil. Kompliment!