Eine Ode an die Wissenschaft

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annajo Avatar

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Alma Whittaker wird im Jahr 1800 in Philadelphia geboren. Sie hat eine ungewöhnliche Kindheit; beide Eltern verehren die Wissenschaft und so ist Alma immer von Wissenschaftlern und klugen Köpfen umgeben. Schon früh läuft sie allein im Wald herum und sammelt Pflanzenproben. Das Vermögen der Familie begründet sich auf dem Verkauf pharmazeutischer und dekorativer Pflanzen und so spielt die Botanik eine ganz besondere Rolle in Almas Leben und durch das gesamte Buch hinweg.

Die Komplexität dieses 700seitigen Romans lässt sich kaum passend beschreiben. Die Geschichte folgt zunächst dem Lebenslauf von Almas Vater und der Erringung seines Wohlstands, der Alma später ihre Studien ermöglicht. Dabei beeindruckt er gerade wegen seiner niederen Herkunft und seiner mangelnden Bildung. Sympathisch ist er nicht wirklich, da er ein wahres Raubein ist. Doch Gilberts Schreibstil und Witz vermitteln auch die ernsthaften Situationen spielerisch und humorvoll, dass es eine wahre Freude war beim Lesen. Gilberts Liebe zu ihren Figuren ist in jedem Satz spürbar. Und die Charaktere sind sehr authentisch und lebensnah. So wird beispielsweise Almas Vater nie etwas anderes als er immer war.
Ab dem mittleren Kindesalter wird Almas Geschichte dann relevant und von hier an verfolgt der Leser die Jahrzehnte von Almas Leben. Irritierender Weise gibt es eine 27-jährige Lücke zwischen Almas 20. und dem 47. Lebensjahr. Normalerweise hätte ich gedacht, dass somit eigentlich die interessanteste Phase eines historischen Romans vorbei wäre, doch die Geschichte geht ebenso spannend und fesselnd weiter. Dabei ist diese Geschichte einer Frau, Botanikerin und Wissenschaftlerin weder langweilig noch kitschig oder verschnörkelt. Gilbert erfasst die Essenz des Wissenschaftlerdaseins absolut treffend; das ständige Zweifeln, Weiterforschen und nie-zufrieden-Sein.
Gleichzeitig spielt neben der Wissenschaft aber auch die Liebe in jeglicher Form eine Rolle. Denn Alma ist weder schön noch beliebt und alle ihre Beziehungen weisen Besonderheiten auf. So erforscht Alma auch die Natur ihrer Beziehungen im Laufe ihres Lebens mit ihrem analytischen Verstand, der kaum Raum für wissenschaftlich Unerklärbares lässt. Die Beziehung zum Vater, zur Mutter, zur Hauswirtschafterin, zur Adoptivschwester und auch zu Männern. Dabei sind die Entwicklungen mitunter überraschend.

Ich kann jedem mit einem Hang zur Wissenschaft und natürlich zur Belletristik diesen Roman nur wärmstens ans Herz legen, denn er ist so opulent wie das Cover und umgeht dabei gleichzeitig die Tücken eines historischen Romans. Gilbert lässt das Pionierzeitalter der Wissenschaften lebendig werden und den Roman seinen Höhepunkt in der These der natürlichen Selektion von Darwin finden. Wie geschickt die Autorin Darwin in ihren Roman eingewoben hat, fasziniert mich immer noch. Und auch wenn Alma nicht unbedingt eine Sympathieträgerin ist, so war ich während des gesamten Romans doch immer an ihrer Seite. Definitiv eines meiner Lesehighlights seit Langem.

"Ich bin glücklich, weil ich mein ganzes Leben damit verbringen durfte, die Welt zu studieren. Und darin habe ich mich niemals unbedeutend gefühlt. [...] ich hatte niemals das Bedürfnis, mir eine Welt jenseits der unseren auszudenken, denn unsere Welt war mir immer bei weitem groß und schön genug. Ich habe mich oft gefragt, warum sie manch anderem nicht auch groß und schön genug ist [...]" (S. 696).