Ein trostloses Leben im Grau einer Siedlung – absolut packen erzählt

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evelynm Avatar

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Der Roman ist aus Sicht einer 10 jährigen Ich-Erzählerin geschrieben. Dabei fiel mir recht schnell auf, dass dieses Mädchen ihrer Zeit weit voraus sein muss oder als Erwachsene von ihrer Kindheit erzählt, denn der Schreibstil entspricht dem einer Erwachsenen. Doch das hat mich nur kurzzeitig irritiert, denn noch in der Leseprobe wurde klar, dass die Geschichte im Rückblick erzählt wird. Viel interessanter finde ich die teils blumige und sehr direkte Sprache der Autorin. Vom „Zimmer der Kadaver“ über die Beschreibung der Mutter als Amöbe ohne Sinn für gutes Essen und einem Leben voller Furcht vor dem brutalen Schrank von einem Mann an ihrer Seite. Sollte ich je wieder Dosenpfirsiche essen, werde ich an Thunfisch denken und mich schütteln.
Die besondere, reine Liebe der beiden Geschwister ist sehr glaubhaft und anschaulich beschrieben. Alleine wie glücklich das Mädchen über das Lachen ihres kleinen Bruders Gilles ist, lässt einem das Herz weich werden. Diese geschwisterliche Verbindung bildet einen starken Kontrast zu dem ansonsten recht trostlosen Leben mit einem jagdbesessenen Vater und einer fast unsichtbaren Mutter. Die Siedlung „Demo“ passt exakt zum unscheinbaren, trostlos scheinenden Leben, das die Familie in der Nähe eines Wäldchens und eines Schrottplatzes führt. Allein schon wie die Familienessen beschrieben werden, ist grandios.
Weniger lustig dafür umso ernüchternder ist der Tod des Eismannes, den das Mädchen und ihr Bruder miterleben. Ihre Eltern kümmern sich nicht um ihre Kinder, sondern gehen seelenruhig ihrem Tagesgeschäft nach: die Mutter putzt den Sittichkäfig und der Vater setzt sich mit Glenfiddich vor die Flimmerkiste. Ein kalter Schauer lief meinen Rücken hinunter und ich sah das Mädchen direkt vor mir, mit ihrer Angst und ihrer Wunsch nach Trost. Zitat: „Wilde Panik stieg in mir hoch und schnürte mir die Luft ab und ich wünschte mir nichts mehr, als dass ein Erwachsener, irgendeiner, mich an der Hand nahm und zu Bett brachte. Und für mich die Dinge wieder zurechtrückte. … Aber niemand kam.“ Die Leseprobe endet mit der Tragödie, die das Leben des Mädchens und vor allem das ihres Bruders Gilles verändert. Das Lachen verschwindet aus seinem Kindergesicht.
Die Autorin hat mich mit den ersten Seiten sofort für ihren Roman eingenommen. Er löst so viele unterschiedliche Gefühle in mir aus und manchmal hätte ich am liebsten die beiden Geschwister einfach in die Arme genommen. Ich möchte deren Geschichte sehr gerne weiter folgen und daher bewerbe ich mich für ein Exemplar.