Wörter als Abglanz der Liebe

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buecherfan.wit Avatar

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 Levithans "Wörterbuch der Liebenden" ist ein ganz besonderes Buch. Es ist formal originell, weil es eine Liebesgeschichte in Form von Lexikoneinträgen erzählt. Das bedeutet, dass die Geschichte nicht chronologisch erzählt wird, sondern dass das Alphabet das Ordnungsprinzip vorgibt. Das Ende des Romans ist damit nicht das Ende einer Entwicklung, die Bewältigung einer Krise, eine Auflösung. Der Leser muss sich selbst einen Reim auf die Phasen dieser Liebe machen, die im Roman zwei Jahre dauert und an keiner Stelle endet. Den englischen Stichwörtern, denen die Übersetzung gegenübergestellt wird, sind tagebuchartig die verschiedenen Episoden und Empfindungen zugeordnet. Manchmal sind es längere Texte, manchmal nur ein Satz. Der Autor wählt Begriffe aus, die überwiegend nicht dem alltäglichen, sondern einem gehobenen Sprachgebrauch entstammen: neophyte, stymie, halcyon, ethereal, deciduous, kerfuffel... Umso erstaunlicher ist, wie er es schafft, passende Begebenheiten zu finden. So wird der Leser über viele Aspekte dieser Beziehung informiert: die Partnersuche im Internet, erste Treffen, die Annäherung, dann Leidenschaft und Glückseligkeit, aber auch Krisen, Enttäuschungen, Verrat. Der Ich-Erzähler empfindet die Untreue des Gegenübers als Fehler in zweifacher Hinsicht. Sein Fehler war es, Vertrauen zu haben. Die Untreue stellt die Beziehung auf eine harte Probe, aber es kommt nicht zum Bruch.

Die formale Innovation ist nicht die einzige Besonderheit dieses Romans. Die Liebenden haben keine Namen, ihr Äußeres wird nicht beschrieben - allerdings erfahren wir, dass der Ich-Erzähler nicht so attraktiv ist wie die angesprochene Person, die er als “schön” bezeichnet und die überall sofort alle Blicke auf sich zieht - , und wir können nicht einmal als selbstverständlich voraussetzen, dass es sich um einen Mann und eine Frau handelt. Der Ich-Erzähler ist offensichtlich ein Mann, das angesprochene “Du” vermutlich aber auch. Im Englischen ist diese Ambivalenz viel leichter durchzuhalten als im Deutschen. Das Englische kennt keine geschlechtsspezifischen Relativpronomen, das Deutsche schon. Deshalb gibt es eine Stelle, wo sich der Übersetzer entschieden hat. Unter dem Stichwort “fallible” heißt es: “Trotzdem fühlte ich mich auf perverse Weise erleichtert, weil du es warst, der (!) den Fehltritt begangen hat. “ (S. 97). Der Autor scheint mit dem Leser zu spielen, wenn er die Ambivalenz in der Frage nach dem Geschlecht pflegt. Einerseits ist das “Du” jemand, der Jahre zuvor bei einer Parade in New York Posaune gespielt hat, andererseits hat das Gegenüber einen Schuhtick, braucht täglich unendlich viel Zeit für seine Frisur und lehnt in einer Episode Alkohol mit der Begründung ab, schwanger zu sein, lacht aber gleich darauf los. Was bezweckt der Autor mit dieser Taktik? Ich glaube, er will zeigen, dass allein die Liebe zählt und nicht das Geschlecht der Liebenden.

So ist ein faszinierender Roman über die Liebe und ihre Facetten entstanden. Interessanterweise stellt der Autor sein eigenes Unterfangen in Frage, wenn er sagt, dass Liebe eigentlich etwas ist, das sich gar nicht in Worte fassen lässt (“ineffable”, S. 125) Die beschriebenen Erfahrungen lassen sich verallgemeinern, und der Leser kann sich möglicherweise mit den Liebenden identifizieren, gerade weil sie namen- und geschlechtslos bleiben. Allerdings verhindert die Form des Lexikons aber auch, dass der Roman uns so berührt und mitreißt wie eine chronologisch erzählte Liebesgeschichte mit einem Höhepunkt (oder mehreren) und einer Auflösung am Ende.

Zum Schluss noch eine Bemerkung zu der Übersetzung: Andreas Steinhövels Übersetzung  liest sich gut und trifft den richtigen Ton. Die Genauigkeit der Übersetzung lässt sich zur Zeit allerdings nur anhand der zweisprachigen Stichwörter überprüfen. Hier sehe ich eine ganze Reihe von Ungenauigkeiten und Fehlern: “cocksure” heißt nicht “todsicher,” sondern “(sehr) von sich selbst überzeugt“, “broker” nicht “zerbrechen”, sondern “aushandeln”, und nur so passen Stichwörter und Lexikoneintrag zusammen. Ein “non sequitur” ist kein Trugschluss, sondern eine unlogische Folgerung. Der Eintrag zu diesem Stichwort (“So (!) klingt es, wenn Tauben weinen”) ist selbst ein Beispiel für ein non sequitur - es gibt keine Verknüpfung mit dem Vorhergehenden usw. Es dürfte sich lohnen, nach Erscheinen das Original zu lesen.