Vom Wirklichsein der Wirklichkeit
Unbestreitbar hat man es in Montells Studie über die kognitiven Verzerrungen des menschlichen Gehirns mit einem schlauen Buch zu tun. Und mit einem informativen. Man erfährt hier sehr viel über die Schnippchen, die sich das Gehirn selbst schlägt, und über die Denkfallen, in die wir mit alltäglicher Selbstverständlichkeit tappen, ständig und immer wieder.
Warum stimmen die Horoskope in den Zeitschriften jedes Mal? Weil wir uns bloß das rauspicken, was gerade zutrifft, und den Rest konsequent ignorieren. Bestätigungsverzerrung.
Warum bleibt man in einer miesen Beziehung kleben, obwohl man es eigentlich besser weiß? Weil man doch eh schon so viel in sie investiert hat, da kann man doch jetzt "nicht einfach aufgeben". Versunkene-Kosten-Falle.
Früher war alles besser. Echt? Entlarvt mit dem Deklinismus-Bias.
Wer sich für kognitive Verzerrungen interessiert, kann im Grunde genommen schon einiges auf Wikipedia darüber nachlesen. Doch was die Autorin im "Magischen Zerdenken" leistet, geht nicht nur in Sachen Ausführlichkeit und Beispielen darüber hinaus. Sondern auch im Punkt Konsequenzen. Wie Montell zeigt - und das sieht man schon am Inhaltsverzeichnis - stellt sie verständliche Beziehungen von unseren unwillkürlichen Denkabläufen zu den Rabbit Holes von Verschwörungsideologien und Esoterikgläubigkeit her. Leider ist es unserem Kopf quasi in die Wiege gelegt, in Selbsttäuschungen abzurutschen. Die muss man zunächst mal bemerken, dann als unsauberes Denken erkennen und schließlich loswerden wollen. Und das ist dann auch gar nicht so einfach.
Wie genau man das schaffen kann, dazu gibt es von der Autorin keine genaue Anleitung. Ich würde mal sagen, wer sich selber öfter mal beim Denken zusieht, es schafft, gelegentlich die Emotionen außen vor zu lassen, und mit Neugier und spielerischer Gelassenheit anstatt verbissen an die Sache herangeht, hat ganz gute Chancen, dem einen oder anderen Stolperstein auszuweichen.
Freundlicherweise lässt uns die Autorin an ihrem eigenen Slalom durchs Leben teilhaben und präsentiert in praktisch jedem Kapitel, was man als Amanda Montell so verpatzen kann. Damit macht sie es einem leicht, da sie über diese kameradschaftliche Identifikation mit ihr die Schwelle niedrig hält zum Begreifen unserer eigenen Irrwege. Dass das Buch mit Witz und fast schon im Plauderton daherkommt, hilft zusätzlich dabei. Und dieses unaufdringliche Nahebringen ist zweifellos ein großes Verdienst.
Vieles wird wunderbar als magisches Denken entlarvt und zu Ende gedacht. Bei anderem bin ich womöglich anderer Meinung ("womöglich" deshalb, weil ich die Autorin ja vielleicht nur falsch verstanden habe), wie etwa beim Ikea-Effekt. Dieser Bias beschreibt, dass man selbst hergestellten (oder zusammengebauten etc) Objekten mehr Wert beimisst als gekauften bzw. industriell produzierten, und zwar egal, wie unschön oder dilettantisch die eigene Kreation ist.
Mein Problem damit möchte ich kurz erklären. Während ich bei den meisten anderen Verzerrungen durchaus für ihre Vermeidung plädieren würde, möchte ich beim Ikea-Effekt Folgendes zu bedenken geben: Heute sind wir es gewohnt, bei "Wert" v.a. an monetären, an in Geld oder Prestige messbaren Wert zu denken. Das ist selbst schon womöglich eine (relativ moderne) Verzerrung, die durch den Kapitalismus extrem verstärkt wurde. Dass wir ganz allgemein so denken, lässt sich schlicht daran erkennen, dass wir ein Unterscheidungskriterium zu "Wert" herstellen müssen, wenn wir eine andere Wert-Kategorie als die monetäre meinen: Dann müssen wir betonen, es gehe um "innere Werte" oder "MIR bedeutet es halt viel" oder ähnliches.
Wenn wir etwas selbst hergestellt haben, haben wir uns mit dem, was uns zum Schluss als unser Werk entgegentritt, verbunden, wir haben im Machen, im Schaffen, im Zusammenbasteln eine Beziehung dazu aufgebaut, wir haben etwas investiert, das wir nicht in Geld bemessen können oder wollen, nämlich unsere freie Zeit. All das steckt im fertigen Objekt, und all das verschafft ihm seinen Wert.
Ich würde hier also nicht von einem Bias sprechen. Sondern im Gegenteil davon, dass sich hier etwas durch die Strukturen unserer heute kapitalistisch geprägten Denkstrukturen Bahn bricht, das von ganz unten kommt, gewissermaßen aus den Graswurzeln unserer Existenz: die Freude am kreatürlichen Tun, an der Schaffenskraft, die in uns allen liegt.
Auch die Autorin ist ganz in dieser Freude am Ende ihres Buches. Des Buches, von dem sie "schon immer geträumt" hat. Vielleicht ist sie dabei ein klein bisschen redselig geworden; manchmal sind mir die Beispiele aus ihrem eigenen Leben und aus der Allgegenwärtigkeit, die soziale Medien offenbar für sie haben (ein noch unentdeckter Bias unserer Zeit?), zu viel und zu ausführlich geworden. Und es kann einen stören, dass sie weder in den einzelnen Kapiteln noch am Ende zu bestimmten Schlüssen kommt oder das Wesentliche zusammenfasst.
Dennoch, allen, die ein spannendes Sachbuch zu den Tücken der Bias-Haftigkeit des menschlichen Geistes lesen möchte und dafür ein bisschen Geduld mitbringen, empfiehlt die Buchprüferin: Lesen!
Warum stimmen die Horoskope in den Zeitschriften jedes Mal? Weil wir uns bloß das rauspicken, was gerade zutrifft, und den Rest konsequent ignorieren. Bestätigungsverzerrung.
Warum bleibt man in einer miesen Beziehung kleben, obwohl man es eigentlich besser weiß? Weil man doch eh schon so viel in sie investiert hat, da kann man doch jetzt "nicht einfach aufgeben". Versunkene-Kosten-Falle.
Früher war alles besser. Echt? Entlarvt mit dem Deklinismus-Bias.
Wer sich für kognitive Verzerrungen interessiert, kann im Grunde genommen schon einiges auf Wikipedia darüber nachlesen. Doch was die Autorin im "Magischen Zerdenken" leistet, geht nicht nur in Sachen Ausführlichkeit und Beispielen darüber hinaus. Sondern auch im Punkt Konsequenzen. Wie Montell zeigt - und das sieht man schon am Inhaltsverzeichnis - stellt sie verständliche Beziehungen von unseren unwillkürlichen Denkabläufen zu den Rabbit Holes von Verschwörungsideologien und Esoterikgläubigkeit her. Leider ist es unserem Kopf quasi in die Wiege gelegt, in Selbsttäuschungen abzurutschen. Die muss man zunächst mal bemerken, dann als unsauberes Denken erkennen und schließlich loswerden wollen. Und das ist dann auch gar nicht so einfach.
Wie genau man das schaffen kann, dazu gibt es von der Autorin keine genaue Anleitung. Ich würde mal sagen, wer sich selber öfter mal beim Denken zusieht, es schafft, gelegentlich die Emotionen außen vor zu lassen, und mit Neugier und spielerischer Gelassenheit anstatt verbissen an die Sache herangeht, hat ganz gute Chancen, dem einen oder anderen Stolperstein auszuweichen.
Freundlicherweise lässt uns die Autorin an ihrem eigenen Slalom durchs Leben teilhaben und präsentiert in praktisch jedem Kapitel, was man als Amanda Montell so verpatzen kann. Damit macht sie es einem leicht, da sie über diese kameradschaftliche Identifikation mit ihr die Schwelle niedrig hält zum Begreifen unserer eigenen Irrwege. Dass das Buch mit Witz und fast schon im Plauderton daherkommt, hilft zusätzlich dabei. Und dieses unaufdringliche Nahebringen ist zweifellos ein großes Verdienst.
Vieles wird wunderbar als magisches Denken entlarvt und zu Ende gedacht. Bei anderem bin ich womöglich anderer Meinung ("womöglich" deshalb, weil ich die Autorin ja vielleicht nur falsch verstanden habe), wie etwa beim Ikea-Effekt. Dieser Bias beschreibt, dass man selbst hergestellten (oder zusammengebauten etc) Objekten mehr Wert beimisst als gekauften bzw. industriell produzierten, und zwar egal, wie unschön oder dilettantisch die eigene Kreation ist.
Mein Problem damit möchte ich kurz erklären. Während ich bei den meisten anderen Verzerrungen durchaus für ihre Vermeidung plädieren würde, möchte ich beim Ikea-Effekt Folgendes zu bedenken geben: Heute sind wir es gewohnt, bei "Wert" v.a. an monetären, an in Geld oder Prestige messbaren Wert zu denken. Das ist selbst schon womöglich eine (relativ moderne) Verzerrung, die durch den Kapitalismus extrem verstärkt wurde. Dass wir ganz allgemein so denken, lässt sich schlicht daran erkennen, dass wir ein Unterscheidungskriterium zu "Wert" herstellen müssen, wenn wir eine andere Wert-Kategorie als die monetäre meinen: Dann müssen wir betonen, es gehe um "innere Werte" oder "MIR bedeutet es halt viel" oder ähnliches.
Wenn wir etwas selbst hergestellt haben, haben wir uns mit dem, was uns zum Schluss als unser Werk entgegentritt, verbunden, wir haben im Machen, im Schaffen, im Zusammenbasteln eine Beziehung dazu aufgebaut, wir haben etwas investiert, das wir nicht in Geld bemessen können oder wollen, nämlich unsere freie Zeit. All das steckt im fertigen Objekt, und all das verschafft ihm seinen Wert.
Ich würde hier also nicht von einem Bias sprechen. Sondern im Gegenteil davon, dass sich hier etwas durch die Strukturen unserer heute kapitalistisch geprägten Denkstrukturen Bahn bricht, das von ganz unten kommt, gewissermaßen aus den Graswurzeln unserer Existenz: die Freude am kreatürlichen Tun, an der Schaffenskraft, die in uns allen liegt.
Auch die Autorin ist ganz in dieser Freude am Ende ihres Buches. Des Buches, von dem sie "schon immer geträumt" hat. Vielleicht ist sie dabei ein klein bisschen redselig geworden; manchmal sind mir die Beispiele aus ihrem eigenen Leben und aus der Allgegenwärtigkeit, die soziale Medien offenbar für sie haben (ein noch unentdeckter Bias unserer Zeit?), zu viel und zu ausführlich geworden. Und es kann einen stören, dass sie weder in den einzelnen Kapiteln noch am Ende zu bestimmten Schlüssen kommt oder das Wesentliche zusammenfasst.
Dennoch, allen, die ein spannendes Sachbuch zu den Tücken der Bias-Haftigkeit des menschlichen Geistes lesen möchte und dafür ein bisschen Geduld mitbringen, empfiehlt die Buchprüferin: Lesen!