Unglaublich, Philosophie kann auch interessant sein!

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kleine hexe Avatar

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Seit Sophies Welt (Jostein Gaardner) habe ich kein so interessantes Buch über Philosophie gelesen. Die Thesen, die Coccia hier aufstellt, sind verblüffend einfach und richtig. Elternhaus und eigenes Heim definieren uns viel mehr als wir zuzugeben bereit waren. Eine Stadt braucht Menschen. Aber Menschen brauchen ein Heim, um wirklich zu leben. Schützengräben sind kein Zuhause. Deswegen hört das Denken auf in Zeiten des Krieges. Aber dies sind meine Gedanken, ausgelöst durch dieses faszinierende Buch. Überhaupt sind meine Gedanken oft weiter geschweift, haben Ideen von Coccia aufgegriffen und in Gedanken weitergesponnen. Zum Beispiel bei dem Kapitel über Küchen. Treffen der gesamten Familie, Verwandlung von Lebensmitteln in Nahrung und dadurch aber auch Verbindung mit dem Universum: die diversen Tiere und Pflanzen, die Zugang zu unseren Küchen und zu uns erhalten. Achtung, eigene Gedanken, ausgelöst durch Coccia: An den Küchen kann man auch klar ersehen, wann das Haus erbaut wurde. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es große, gemütliche Wohnküchen, wo der Vater nach der Arbeit sich aufs Sofa oder Diwan zum Zeitunglesen ausstreckte, die Kinder spielten in der Küche, denn Kinderzimmer gab e s so noch nicht, die Hausfrau und Mutter kochte oder handarbeitete oder führte das Haushaltsbuch. Dann kamen die 68er, die Emanzipation der Frauen. Plötzlich waren die Küchen enge Verliese, wo die Frau oder der Mann wie zur Strafe kochen musste. Es waren Ein-Personen-Zellen, es war auch die Zeit als die Mikrowellen und die Fertiggerichte auftauchten. Die Küche wurde zum Alibi.
Der Gedanke, dass alle Räume eines Hauses/Wohnung auch zu Mehrfachzwecken dienen können, gefällt mir. Auch dass Badezimmer nie zum Arbeiten oder Spielen verwendet werden, sondern nur den einen Zweck erfüllen, für den sie gebaut wurden, ist einleuchtend. Kulturhistorisch gesehen wurden die Badezimmer nachträglich, erst im Laufe des 20. Jahrhundert in die Wohnungen eingefügt. Wieviel Zimmer hat Versailles? 1800 Zimmer, kein einziges Badezimmer darunter. In dem Schloss hat es sehr “gemenschelt”.
Und so habe ich mich von diesem Buch verleiten lassen mit jedem neuen Kapitel, auf jeder Seite meine eigenen Gedanken hinzuzufügen, über das offensichtliche eines Heimes zu staunen, unsere Wohnung neu zu entdecken, einige Sachen zu verschenken, den Besuch bei IKEA hinauszuschieben, kurz, das Buch in seiner Gänze - nein, in seiner viel zu kurzen Länge - zu genießen.