Interessant, aber nicht so umwerfend wie erwartet

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Hunger! Durst! Hitze! Kälte! Auf ihrem langen Weg aus dem Sudan nach Schottland hat Mhairi bereits alles erlebt. Nach der monatelangen Flucht vor den Auswirkungen des Klimawandels gelingt es Mhairi, in den ersehnten Norden zu gelangen. Hier gibt es noch genügend Wasser, hier kann man überleben. Zumindest bis zu einem bestimmten Alter, denn aufgrund der Überbevölkerung gibt es eine begrenzte Lebenszeit. Kurz vor der schottischen Grenze trifft Mhairi auf einen kleinen Jungen. Er spricht nicht, doch er heftet sich an Mhairis Fersen als wüsste er, dass er mit ihr zusammen überleben kann. Doch der Junge erinnert Mhairi an Muhammad, den Jungen, der am Anfang der Flucht bei ihr war und so viele Eselswitze kannte. Und an Muhammad möchte sie nun wirklich nicht erinnert werden.

„Davor und Danach“ von Nicky Singer wird als „Eine berührende Geschichte über Klimawandel, Überbevölkerung und den Umgang mit Flüchtlingen.“ angekündigt und ich war schon sehr gespannt. Das Cover ist ein Eyecatcher, vor allem, weil Titel und Autorin nicht darauf stehen. Statt dessen findet man beides an Rücken und (überklapptem) Schnitt. Der Klimawandel, der eine Massenflucht auf der ganzen Welt einsetzen lässt, wird meiner Meinung nach nur unzureichend beschrieben. Die Überbevölkerung wird thematisiert und zeigt sich vor allem in der Begrenzung der Lebensjahre und des daraus resultierenden Handels. Sehr deutlich und aufwühlend jedoch wird der Umgang mit Flüchtlingen gezeigt.

Die vierzehnjährige Mhairi, die zunächst zusammen mit ihren Eltern, die im Sudan Forschungen zur solaren Energiegewinnung im Sudan betrieben, fliehen muss, erlebt auf ihrer Flucht Schreckliches. Egal, wo sie hinkommt, ist sie nur Mensch zweiter Klasse. Heimatlos, unerwünscht. Es herrscht das Recht des Stärkeren. Selbst als sie in ihre Heimat Schottland zurückkehrt, ist es schwer Aufnahme zu finden. Zu viele Menschen wollen in den Norden und die, die hier wohnen, verteidigen ihren Wohlstand mit harten Bandagen.

Die schrecklichen Erlebnisse, die Mhairi begleiten, verbannt sie in FESTUNG (Original: Castle), einen Ort, an dem sie ihre schmerzhaften Erinnerungen gefangen hält und schweigen lässt. Nur selten öffnet sich ein Fenster zu diesem Ort, zu groß ist die Gefahr, sich vom Trauma überwältigen zu lassen. Doch so erfährt man nur langsam, was auf der Flucht geschehen ist. Mhairi ist ein außergewöhnliches Mädchen, das durch ihren Papa gelernt hat, wie man in der Natur überlebt. Emotional fällt es eher schwer sich ihr zu nähern. Sie handelt stets überlegt und mit Kalkül, und doch hat auch sie ihre schwachen Momente.

Ich fand „Davor und Danach“ interessant, aber nicht umwerfend. Der Sprachstil hat mir gut gefallen, nicht platt und auch nicht geschwollen. Einzig die ständigen Auflistungen fand ich gewöhnungsbedürftig, aber vielleicht ist es ein Ausdruck für ständiges Überprüfen, Sortieren und Ordnen im Chaos des Überlebenskampfes.

Insgesamt hat mir das Buch gut gefallen, ein wenig erschüttert, aber mir fehlte letztendlich der Überblick, wie sich der Klimawandel gestaltet und was es konkret für die Menschen bedeutet. Klar, das Eis ist geschmolzen und es ist heiß. Alle fliehen in den Norden. Die im Norden wollen die anderen nicht haben, weil es viel zu viele sind, um alle zu versorgen. Damit ist alles gesagt. Mir war es trotz der anrührenden Geschichte zu wenig.

„Davor und Danach“ macht nachdenklich und bekommt von mir durchaus eine Leseempfehlung, bleibt aber hinter meinen vielleicht aufgrund der Ankündigung überhöhten Erwartungen zurück.

© Tintenhain