Die siebte Meditation

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r.e.r. Avatar

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Die sechzehnjährige Renée findet ihre Eltern tot im Wald. Die Umstände ihres Todes sind mysteriös. Beide starben an einem Herzanfall waren aber, laut Obduktion, zum Todeszeitpunkt kerngesund. Ein weiterer Umstand der Fragen aufwirft sind die Münzen die überall auf dem Waldboden und auf den Leichen verteilt waren, sowie Mullbinden die in den Mündern der Eltern gefunden wurden. Merkwürdig ist auch das Renée die Leichen in dem über dreihundert Quadratmeilen großen Waldgebiet überhaupt gefunden hat. Sie hatte es nie vorher betreten. Renée’s Großvater scheint mehr zu wissen als er zugibt. Er beschließt das Renée zu ihrem eigenen Schutz auf das St. Gottfrieds Internat in den entlegenen Ort Attica Falls in Maine kommt, das schon ihre Mutter besuchte.

 

Zu Beginn liest sich Yvonne Woons Erstlingsroman wie eine Mischung aus “Biss zum Morgengrauen” und Harry Potter. Ein Einzelkind deren Eltern auf geheimnisvolle Weise umgekommen sind, wird auf ein besonderes Internat geschickt. Die Anlage gleicht einem Schloss “in gotischem Stil”. Es gibt einen toten Wald (bei Harry Potter ist es der verbotene Wald), es gibt keine gewöhnlichen Schulfächer sondern Lehrinhalte wie Rohwissenschaften oder imaginäre Arithmetik. Der Schuljahresbeginn wird ebenfalls mit einem Festbankett und einer Auswahlzeremonie zelebriert und die Rektorin hat wallendes weißes Haar.

 

Fast schon grotesk ähnlich ist die erste Begegnung Renées mit Dante Berlin. Bella und Edward lassen grüßen. Auch Dante ist ein “überirdisch schöner” Einzelgänger, dem alle Schülerinnen nachschmachten und der bisher noch nicht einmal mit einem Mädchen geredet hat. Bei Renée macht er, scheinbar gegen seinen Willen, eine Ausnahme. Auch sie fühlt sich sofort zu ihm hingezogen. Diverse unerklärliche Phänomene ranken sich um den schönen Jüngling. Er ist leichenblass, seine Haut und Hände sind kalt, aber er friert nicht. Er wohnt nicht im Internat, isst nicht, schläft nie und scheint über unglaubliche Selbstheilungskräfte zu verfügen. Die ersten hundert Seiten muten daher wie eine plumpe Nachahmung der beiden erfolgreichsten Jugendbücher des letzten Jahrzehnts an.

 

Die Autorin steigert sich jedoch. Die Handlung bekommt einen eigenen Charakter und auch die sprachliche Qualität bessert sich. Allerdings ist Geduld gefragt, denn Yvonne Woon spannt den Leser auf eine lange Folter. Erst sehr spät enthüllt sie das wahre Wesen von Dante und das Geheimnis von Renée. Wer Teenagerromanzen mit Gruselfaktor mag und sich über die leichtfertige Todessehnsucht der Heldin aus schwärmerischer Verklärtheit nicht aufregt, wird sicher nicht enttäuscht.

 

Der Schlüssel zum Roman ist “die siebte Meditation” von René Descartes. Allein eine solche gibt es nicht. Die “Meditationes de prima Philosophia” des großen Philosophen aus dem Jahre 1641 umfassen lediglich sechs Meditationen die über den methodischen Zweifel, die Natur des menschlichen Geistes, das Dasein Gottes, das Wahre und Falsche bis zum Wesen und Dasein der materiellen Dinge reichen. Yvonne Woon fügt mit ihrer Betrachtung über den Tod eine siebte Meditation hinzu. Hier hat sie nicht imitiert sondern eine eigene Idee weiterentwickelt. Und das wiederum gibt dem Roman dann doch eine ganz eigene Note.