Von Gott gewollt?

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roomwithabook Avatar

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Die deutsche Kolonialzeit ist ein Thema, über das ich noch viel zu wenig weiß. Deshalb hat mich Katharina Döblers Roman „Dein ist das Reich“ sehr neugierig gemacht, denn darin behandelt sie die Geschichte ihrer Großeltern. Beide Großväter kamen mithilfe des lutherischen Neuendettelsauer Missionswerks nach Neuguinea, damals noch Kaiser-Wilhelm-Land genannt, wo sie die Einheimischen missionieren beziehungsweise eine Plantage leiten sollten, die Ehefrauen standen ihnen dabei unterstützend zur Seite, ganz wie es als Aufgabe der Frauen gesehen wurde. Die meisten Geschichten hat Döblers Großmutter Linette erzählt, doch sie „waren die Märchen meiner Kindheit, die auf dem langsamen Fluss ihrer hohen, leisen Stimme dahinzogen, unerklärlich, schrecklich und schön.“ Es dauert lange, bis sich die Autorin näher mit ihrer Familiengeschichte beschäftigt und versucht, die Lücken in den Erzählungen zu schließen. „Überlieferungen, das weiß ich heute, bestehen zum großen Teil aus Verschwiegenem. Ich habe lange geglaubt, es wäre alles gesagt, habe sehr wenig gefragt.“ Sie nähert sich der Geschichte ihrer Großeltern und Eltern in Romanform an, die Eckdaten stimmen, doch die Leerstellen füllt sie selbst aus. Dabei bleibt sie dicht an den Figuren, erzählt aus ihrer (vermuteten) Sicht vom Leben in Neuguinea. Die Familien bleiben auch nach Ende der deutschen Kolonialzeit, also nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, dort, erst der Zweite Weltkrieg beendet diesen Teil der Familiengeschichte.
Keine*r der Großeltern erscheint dabei wirklich sympathisch, da sie auf unerträgliche Weise von der Richtigkeit ihres Tuns überzeugt sind. Auch später, nach dem Krieg, wird den verloren gegangenen Kolonien nachgetrauert, nie an der Richtigkeit der Missionsarbeit gezweifelt. Die Weißen und die christliche Religion stehen auf einer angeblich höheren Stufe, die Einheimischen müssen bekehrt werden, und wenn dabei ihre Kultur zerstört wird, finden das vielleicht ein paar der Beteiligten bedauerlich, aber letztendlich unvermeidlich. Döbler verwendet für die Dialoge keine Anführungszeichen, deshalb wirken die rassistischen Ansichten unmittelbar und es ist oft kaum erträglich zu lesen, wie die dargestellten Personen die Menschen in Neuguinea sehen. Selbst der eine Großvater, der sich für die Sprache und Kultur vor Ort interessiert, sogar eine Beziehung zu einer Einheimischen beginnt, sieht sich immer als überlegen an und zweifelt nie an der Richtigkeit seiner Aufgabe. Allerdings wird durch diese Nähe zu den Rassismen der vier Protagonist*innen deutlich, wie verankert dieses Denken in der damaligen Bevölkerung war und wie sehr es sich seitdem erhalten hat. Es ist die Basis, auf der sich der Nationalsozialismus problemlos ausbreiten konnte, es wundert daher nicht, dass zwei der Großeltern begeisterte Anhänger*innen werden. Trotzdem habe ich mich gefragt, ob die Ansichten der Großeltern anders als durch die verwendete rassistische Sprache hätten ausgedrückt werden können oder ob es notwendig ist, um die Kontinuität des rassistischen Denkens in Deutschland darzustellen. Dieser Roman zeigt auf jeden Fall viele Verknüpfungen auf, die im öffentlichen Diskurs gern übersehen werden. Exotisierende Darstellungen und abwertende Beurteilungen anderer Menschen und Kulturen werden auch heute noch von einem Großteil der Bevölkerung nicht als problematisch angesehen, doch die gerade beginnende Diskussion um die Rückgabe geraubter Kunstwerke in den deutschen Museen lässt hoffen, dass die Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialzeit erst am Anfang steht. Dieser Roman zeigt, dass es höchste Zeit ist, sich neben dem Nazierbe auch mit dem kolonialen Erbe unserer Familiengeschichten auseinanderzusetzen.