Nazis, Diplomaten, Spione und eine junge Frau in Tokio

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takabayashi Avatar

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Deutschland in der Nazizeit: Die 18jährige Elisabeth lebt mit ihrer ängstlichen Mutter und dem despotischen Vater - einem strammen Nazi - in einer süddeutschen Kleinstadt. Eines Tages wird sie vom Vater mehr oder weniger verkauft; der hat eingewilligt, dass sie ganz plötzlich Ernst Wilhelm, den mit 39 Jahren noch unverheirateten Sohn seines Chefs, des Fabrikanten von Traunstein, heiraten soll, der dann nach der Zeremonie sofort nach Japan aufbricht und sich mit "Demnächst in Tokio" von ihr verabschiedet.
Elisabeth werden die Zusammenhänge erst später klar, da sie noch recht naiv ist, aber der Leser erfährt, bzw. erahnt bald, was es mit dieser Eheschließung auf sich hat. Die offizielle Begründung der Familie von Traunstein lautet, dass Ernst sich wegen seines Jobs an der Tokioter Botschaft schnell verheiraten muss, denn unverheiratete Diplomaten werden nicht gern gesehen. Doch tatsächlich geht er so überstürzt nach Tokio, weil seine Famile quasi am Vorabend des sogenannten Röhm-Putsches noch rechtzeitig gewarnt worden war. Ernst stand politisch dem Ex-Kanzler von Schleicher nah, und die Familie hatte gerade noch früh genug erfahren, dass eine Säuberungsaktion bevorstand und Beziehungen spielen lassen, um ihn an der deutschen Botschaft unterzubringen. Außerdem ist Ernst homosexuell, was der Leser sofort ahnt, Elisabeth aber erst sehr viel später versteht.
Im Grunde ist es eine Coming of Age-Story: Elisabeths abenteuerliche Reise nach Japan, das kameradschaftliche Zusammenleben mit ihrem neuen Ehemann, das fremde Land, das Leben in Diplomatenkreisen und wie sie allmählich lernt, die Rolle als Dipomatengattin auszufüllen. Außerdem fühlt sie sich von ihrem Vater befreit und genießt den ungewohnten Wohlstand.
Und dann tritt noch Ernsts bester Freund Alexander in ihr Leben, ein verwegener Journalist, der sich wenig um Konventionen schert und mit dem sich eine Art Ménage à trois entwickelt. Die Autorin verrät im Nachwort, dass diese Figur dem real existierenden Spion Richard Sorge nachempfunden ist. Die Traunsteins halten sich von 1934 - 1942 in Japan auf und wir erfahren viel über die deutsche, die japanische und die Weltpolitik dieser Zeit. Danach folgen noch einige Jahre im Pekinger Exil, die jedoch nur en passant geschildert werden, und dann ein kurzer Abriss des weiteren Lebens im Nachkriegsdeutschland.
Es beginnt damit, dass Elisabeths Tochter Karoline überraschend für ein Interview nach Japan reisen muss und Elisabeth - mittlerweile weit über 90 Jahre alt - dadurch den Anstoß zu dem schon längst überfälligen Bericht für ihre Tochter über die Tokioter Zeit, die Art ihrer Ehe und einige andere Geheimnisse gibt. Der Roman besteht hauptsächlich aus einem langen Brief an Karoline.
Obwohl ich nicht mehr die Jüngste bin, fiel es mir als heutiger Leserin schon schwer, die Denk- und Verhaltensweisen dieser Zeit nachzuvollziehen, die ja noch viel stärker von Tabus geprägt wurden, z.B. erschien mir Elisabeths Naivität manchmal als zu extrem und fast unglaubwürdig. Trotzdem hat mir der Roman sehr gut gefallen, er bietet einen spannenden Einblick in eine ander Zeit und eine andere Welt.
Ein gut recherchierter, spannender historischr Roman mit viel Gefühl, Drama und Exotik.