Aus dem Leben eines Satansbratens

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Wenn die Times schreibt, dass sich das Buch lese, „[a]ls hätten die Coen-Brüder Dickens verfilmt“, klingt das interessant und will näher ergründet sein – auch wenn das Buch annähernd 900 Seiten zählt.

Erzählt wird die Geschichte des titelgebenden Demon Copperhead – wobei er dem Namen oder umgekehrt alle Ehre macht, denn er hat kupferrote Haare, ein loses Mundwerk und einen unbedingten Willen, sich vom Leben nicht unterbuttern zu lassen. Verortet ist die schwierige Kinder- und Jugendzeit des Kindes eines auf sich allein gestellten drogensüchtigen Teenagers auf dem wie man so schön sagt gottverlassenen Land von Tabakbauern und Schwarzbrennern, in den Wäldern. Zwar soll es für Demon sogar noch schlimmer kommen: Pflegefamilien, (eigene) Drogensucht, Verlust und Einsamkeit; doch er ist auch ein unverbesserlicher Optimist, der sein Leben als keinesfalls hoffnungslos betrachtet.

Klassische Handlung, über die man berichten könnte, hat das Buch nicht viel – da stimmen fast 900 Seiten umso „bedenklicher“. Doch bis auf einzelne Längen, in denen die Verzweiflung nachgerade aus den Seiten troff, las sich das Buch keinesfalls langweilig, was mich verdutzte, zumal ich kein erklärter Dickens-Fan bin. Allerdings erinnerte mich das Buch an eine andere literarische Figur: Huckleberry Finn, der in der Verfilmung, die ich mal gesehen habe, auch rote Haare hatte und diesen Habitus des sich vom Schicksal und seiner Unbill nicht unterbuttern Lassenden hatte, wozu auch das Setting im ländlichen „abgehängten“ Amerika passt. Daraus wiederum ergibt sich, dass Kingsolver die Themen Drogensucht (vor allem die Macht, die die Droge vom Süchtigen ergreift), Opioid-Krise, Pflegekindersystem, Umweltausbeutung, aber auch die Resilienz der Landbewohner „aufarbeiten“ kann – und das in einem nicht moralisierenden Ton, da sie den wenig intellektuellen, aber „bauernschlauen“ Satansbraten (das schoss mir als beste Beschreibung Demons sehr schnell in den Kopf) darüber schlicht plaudern lässt. Das wirkt leicht und unbeschwert und schlägt sich natürlich im Erzähl- bzw. Schreibstil nieder. Wie genau sie es macht, ist mir schleierhaft, aber in weiten Teilen ist die Geschichte sprachlich schlicht brillant. Man merkt, dass Kingsolver ihre Figuren, allen voran ihren Protagonisten mit großer Liebe gezeichnet hat, was auch nötig ist, weil man als „Otto-Normal-Leser“ das Leben Drogensüchtiger, aber auch als sich abgehängt Fühlender, ja vielleicht „Multikrisengeplagter“, kaum nachzuvollziehen vermögen würde. Obwohl Demons Leben von zahlreichen echten Härten geprägt ist und das Leben ihn jederzeit von dem Drahtseil, auf dem er tanzt, herunterschubsen könnte, lässt er sich nicht unterkriegen: das macht Hoffnung. Doch auf über 800 Seiten bleiben vereinzelte Längen nicht aus und es bedarf aufgrund der Vielzahl der auftretenden Figuren ein wenig Konzentration. Barbara Kingsolver war mir bis zu „Demon Copperhead“ unbekannt – warum eigentlich? Denn sie vollbringt ein echtes Kunststück: Sie schreibt ein beinah episodenhaftes und gut lesbares Epos, das schwere Themen aufarbeitet, ohne zu werten.