Rosemary zur Erinnerung

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
buecherfan.wit Avatar

Von

Das Cover und vor allem der kitschige deutsche Titel (Originaltitel: The Evil Seed) wirken abschreckend. Wenn man

sich jedoch erst einmal eingelesen hat, macht der Roman einen wesentlich besseren Eindruck.

Zu Beginn gibt es eine Einleitung, ein "Zitat" aus dem Buch "Das Edelfräulein - The Blessed Damozel" von Daniel Holmes.

Daniel Holmes -  genannt Danny - ist einer der beiden Ich-Erzähler, der ein real existierendes Gemälde des englischen

Malers Dante Gabriel Rossetti in einem fiktiven Werk über die Präraffeliten (einflußreiche englische Malergruppe

in der Mitte des 19. Jahrhunderts) beschreibt. Danny wendet sich in Tagebuchform direkt an den Leser, um diesen

vor der geheimnisvollen Rosemary zu warnen, die er einst bei einem fingierten Unfall aus dem Fluß Cam gerettet hat

und die sein Leben und das seines Freundes Robert zerstört hat. Danny ist direkt oder indirekt schuld an ihrem Tod,

Rosemary ist tot oder auch nicht . Sie ist zwar begraben, erscheint aber immer noch schemenhaft denen, die ihr

nahestanden, also zum Besipiel Danny. Robert hat kurz nach Rosemarys Tod Selbstmord begangen, vielleicht aber auch

nicht, vielleicht war es ja Rosemary.  In einem zweiten Handlungsstrang sieht die ziemlich erfolglose Malerin Alice

ihren Ex-Freund Joe mit einer jungen Frau in einem Café, läuft über Friedhöfe und steht  plötzlich vor Rosemarys

Grab. Am selben Tag malt sie inspiriert von diesem Ausflug auf den Friedhof ihr schönstes Bild in bewußt präraffaeli-

tischer Komposition (!). In der Beschreibung Rosemarys und der der jungen Frau an Joes Seite wird deutlich, dass sich

die Autorin an dem physischen Erscheinungsbild von Elizabeth Eleanor Siddal, der Muse - heute würde man sagen: dem

Supermodel - der Präraffaeliten orientiert.  Sie hatte eine grazile, fragile Figur und hüftlanges kupferrotes Haar. So

sieht auch  Rosemary in diesem Roman  aus, und sie wirkt auf ihren Retter Danny wie ein Wesen aus einer anderen

Zeit. Das alles wird sehr verschachtelt erzählt, mischt Realität und Fantasie, kontrastiert zwei Erzählspektiven und

zwei Zeitebenen, drei, wenn man die vielen Bezüge zu den Präraffaeliten des 19. Jahrhundert hinzunimmt. Ich

mag keine Vampire - und Rosemary wird wohl einer sein -, aber in dieser Form präsentiert finde ich den Roman

durchaus anspruchsvoll, spannend und rechne mit einer lohnenden Lektüre.