Keine weichgespülte Vampirromanze

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annajo Avatar

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Im Jahr 1948 rettet Daniel Holmes ein rothaariges junges Mädchen namens Rosemary aus dem Fluss Cam in Cambridge. Sie wollte sich ertränken. Daniel verfällt ihr, genauso wie sein Freund Robert. Aber es ist nicht alles wie es scheint. In Cambridge geschehen grausame Morde und Daniel kommt immer noch nicht von Rosemary los. Doch er muss feststellen, dass Rosemary ihn das Grauen lehrt. Schließlich stirbt Rosemary und hinterlässt auf ihrem Grab den Spruch "Etwas in mir erinnert sich", was wie eine unheilvolle Drohung klingt und es auch ist.
Alice ist Malerin und denkt noch oft an ihren Exfreund Joe. Dann glaubt sie plötzlich, ihn in einem Café mit einer jungen Frau gesehen zu haben. Tatsächlich ruft Joe sie kurze Zeit später an und will ihr unbedingt seine neue Freundin Ginny vorstellen. Sein Hintergedanke: Ginny soll einige Tage bei Alice wohnen. Von Anfang an ist sie Alice nicht geheuer. Und als sie dann beobachtet, wie sich Ginny plötzlich verändert, wenn Joe nicht mehr in der Nähe ist, ihre Freunde kennenlernt, obwohl sie angeblich keine habe und feststellt, dass Ginny häufig nachts unterwegs ist, wird sie misstrauisch und beginnt, Ginny zu folgen und ihre Sachen zu durchsuchen. Doch Joe will von ihrem Verdacht nichts hören.

Die Geschichte findet auf zwei zeitlichen Ebenen statt, die auch anhand der Kapitelüberschriften gekennzeichnet sind. "Eins" steht für die Geschichte, die kurz nach dem zweiten Weltkrieg im Jahr 1948 spielt und von dem Protagonisten Daniel Holmes in Form von Tagebucheinträgen erzählt wird. "Zwei" spielt im Cambridge der Gegenwart und erzählt die Geschichte von Alice, Joe und Ginny aus Alices Sicht, wenn auch in der dritten Person erzählt. Ein einziges Mal gibt es auch "Drei", welches völlig aus dem Kontext gerissen ist und nicht wirklich zur Geschichte beiträgt. Es ist somit eigentlich völlig überflüssig.

Mit "Denk an mich in der Nacht" liegt erstmals der Debüt-Roman von Joanne Harris auch auf deutsch vor. Auch in englisch wurde er gerade wieder neu aufgelegt, obwohl das Original aus dem Jahr 1989 stammt. Die Autorin braucht sich also nicht dem Vorwurf zu stellen, auf der gerade vorherrschenden Vampirwelle zu reiten; dies könnte man lediglich dem Verlag anlasten. Und dabei ist "Denk an mich in der Nacht" so ganz anders als die Masse der heutigen Vampirromane. Harris' Vampire sind keine Kuscheltiere, sondern düstere, gefährliche und mörderische Raubtiere. Sie verbreiten Angst und Schrecken und hinterlassen jede Menge verstümmelte Leichen. Und doch wird das ganze Buch über fast nie ausgesprochen, was dem Leser klar ist. Aber auch der Leser wäre eher im Ungewissen, wenn nicht der Klappentext von Vampiren sprechen würde. Es ist nie die Rede von Fangzähnen und die Nachtwesen sind auch tagsüber unterwegs. Zudem sind sie in gewisser Weise von den Menschen abhängig.
Ich finde Harris' Konstruktion hoch interessant, da man lange glaubt, es würde sich um normale Menschen handeln und die Begründung, sie seien drogenabhängig erscheint völlig plausibel. Außerdem war es sehr authentisch, wie sich die Protagonisten immer wieder fragen, ob sie selbst nicht verrückt seien. Harris gelang es zudem, mir eine Gänsehaut über den Rücken zu jagen und meine Nackenhaare zu Berge stehen zu lassen. Sie erzeugt eine düstere, unheimliche Stimmung, in der auch ich mich vor Rosemary und ihren Freunden zu fürchten begann. Kein Wunder also, dass dieses Buch - wie von der Autorin beklagt - immer wieder fälschlicherweise im Horrorregal landete. Denn dort gehört es auf jeden Fall eher hin als zwischen die vielen Vampirromanzen.

Insgesamt hat mich dieses Buch absolut gefesselt, hat jede Menge Spannung und Action mit sich gebracht, und doch konnte ich mich lange Strecken nicht gut auf die Geschichte konzentrieren, war irgendwie immer abgelenkt und zwischenzeitlich auch verwirrt. Hin und wieder verlor ich den Überblick und einige Situationen habe ich auch nicht so richtig verstanden, bspw. warum Alice auf dem Jahrmarkt gejagt wird, nicht aber in ihrem eigenen Haus. Auch das Ende war sehr überstürzt und unübersichtlich, doch es gelang der Autorin dabei immer, den übernatürlichen Hauch der Geschichte zu bewahren. Und auch das letzte Ende passte gut in die Geschichte und verschaffte mir etwas Gänsehaut. Für mich war dieses Buch also insgesamt ein gutes Buch und mal eine Abwechslung zur derzeitig herrschenden "Vampirkultur", wenn es auch seine Mankos hatte. Aber es war nunmal ein Debütroman, und der konnte soweit eigentlich ganz gut überzeugen.