O'Connor vs Doyle

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
hybris Avatar

Von


„Neun Monate sind inzwischen vergangen, seit er aus Dublin hierher versetzt wurde, und er hat sich an die Sitten seiner englischen Kollegen gewöhnt. Ständig machen sie ihre Witze, sticheln, lassen nichts unversucht, um ihn zu provozieren. Oberflächlich sind sie freundlich, aber hinter dem Grinsen und Gelächter spürt er Misstrauen. “

1867, Manchester:
Ein Polizist wird ermordet- es werden drei irische Rebellen hingerichtet, deren Ziel es war, der englischen Fremdherrschaft den Garaus zu machen. Der britisch – irische Konflikt hat spätestens seit der katastrophalen „Great Famine“ seinen Höhepunkt erreicht. Die Briten fürchten die Rache der Fenier. Constable James O’Connor aus Dublin soll als Kenner der Szene Licht in’s Dunkel von Manchester bringen. Seit dem Tod seiner Frau ist er trockener Alkoholiker, doch er ist stark rückfallgefährdet. Die Bigotterie der Engländer überrascht ihn nicht wirklich, doch nie hätte er damit gerechnet, dass ausgerechnet der amerikanische Ire (und Kriegsveteran) Stephen Doyle sein ärgster Feind werden würde…

„Der Abstinent“ ist ein unheimlich spannender historischer Roman; die Beschreibungen des Autors sind plastisch und eindringlich, er beschwört den Dreck & den Gestank einer Industriestadt im neunzehnten Jahrhundert herauf. „Noir“ in Reinform! Die Erzählweise ist ruhig und reduziert, und doch gelingt es McGuire, in wenigen Worten eine beklemmende und düstere Atmosphäre zu evozieren. Obwohl er mit seinem Krimi keine akkurate Chronik der „Troubles“ präsentiert, gelingt es ihm, die kriegsähnlichen Zustände präzise abzubilden, ohne in Schwarzweißmalerei zu verfallen. O`Connor setzt Spitzel ein, um die irische Community auszuhorchen, er möchte für Recht und Ordnung sorgen, glaubt er an die Gültigkeit von Gesetzen?
Strebt Stephen Doyle wirklich nach Gerechtigkeit, oder ist das Töten seit seiner Teilnahme am Amerikanischen Bürgerkrieg schlicht eine Selbstverständlichkeit für ihn?
Loyalität und Verrat, Armut, Perspektivlosigkeit, toxische Männlichkeit, Schuld & Sühne: Ian McGuires Roman ist kein “Stoff“ für Zwischendurch und erst recht keine Wohlfühllektüre.
Der Autor präsentiert mit „Der Abstinent“ ein packendes Psychogramm und einen lesenswerten historischen Thriller mit einem überraschenden Ende. Trotz gewisser Längen in der Erzählung habe ich den Krimi regelrecht „verschlungen“.