Zwischen den Linien

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Ian McGuire: Der Abstinent

Stille Romane haben manchmal viel zu sagen. Ian McGuire führt uns mit „Der Abstinent“ in das Manchester Ende des 19. Jahrhunderts und lässt uns Schweiß und Blut der Menschen dort riechen und schmecken.

Ein Polizist macht noch keinen Krimi

„Der Abstinent“ ist in Ausrichtung und Handwerklichkeit mehr ein Historischer Roman als eine Kriminalerzählung. Auch wenn mit James O`Connor der Protagonist ein Polizist ist. Ihm gegenüber steht mit Stephen Doyle ein Krimineller, nach heutigen Maßstäben, ein Terrorist.

Gleichwohl führt uns McGuire in die Industriestadt Manchester und erzählt auf wunderbare, weil alle Sinne ansprechend, Weise, still und intelligent, wie sich das Leben in jener Zeit im Norden Englands anfühlte.

Auf der Flucht vor der Höhle des Whiskys

James O`Connor ist Constable und Ire. Er ist frisch von Dublin nach Manchester versetzt worden und es ist seine letzte Chance. Nach dem Tod seiner Frau Catherine flüchtete er in die „Höhle des Whiskys“, wie er es selber entdeckt. In Manchester bleibt O`Connor trocken, wenngleich die Versuchung vielfach zu ihm spricht.

Drei Ihren, Mitglieder der Fenian Brotherhood, töteten einen englischen Polizisten während eines Gefangenentransportes. Diese wahre Begebenheit nimmt McGuire als Startpunkt seines Romans. Besser, die Exekution der Iren am Galgen. O`Connor steht mit seiner Herkunft zwischen den Linien: Seine englischen Kollegen vertrauen ihm nicht und für die Iren ist er ein …

Verstärkung aus New York

Die Fenian, heute in der Regel mit irischen Unabhängigkeitskämpfern gleichgesetzt, lassen das Hängen dreier ihrer Mitglieder nicht auf sich sitzen und brennen auf Vergeltung. Sie fordern vom amerikanischen Zweig ihrer Bruderschaft Verstärkung.

Diese kommt in Form von Stephen Doyle über den Atlantik. Die Narben im Gesicht des gebürtigen Iren und Bürgerkriegsveterans zeigen, dass er weder sich noch andere bei der Erfüllung seines Auftrags schont. Zwischen O`Connor und Doyle kommt es zu einem Schlagabtausch wie zwischen zwei Schachspielern. McGuire verstärkt diesen Eindruck, in dem er abwechselnd den Erzähler die Geschichte aus Sicht des Polizisten und des Terroristen erzählen lässt.

Leise Bilder

McGuire erzählt die Geschichte mit einer bildhaften Sprache, die umso wirkungsvoller ist, da man sie beim ersten Lesen kaum bemerkt. Seine Bilder sind überzeugend, treffend wie unaufdringlich. Mit dieser Mischung gelingt McGuire ein Roman, der in allen Belangen, von der Handlung bis zur Sprache, vom Stil bis zum Thema, überzeugen kann.

Ian McGuire: Der Abstinent
dtv 2021
Aus dem Englischen von Jan Schönherr
334 Seiten, E-Book