Spannend aber unbefriedigend

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thunderlight Avatar

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Inhalt: 


2009, Karlstad, Schweden: Emelie Bjurwall, die Tochter der schwerreichen Inhaberin des AckWe-Konzerns verschwindet spurlos. Obwohl die Polizei sich schnell auf einen Verdächtigen festlegt, kann dessen Schuld nicht nachgewiesen werden, denn die Leiche wird nie gefunden.

2019, Baltimore, USA: John Adderley, ein verdeckter Ermittler aus Baltimore erwacht mit Schusswunden im Krankenhaus. Sein letzter Einsatz ging gründlich daneben und im Bett neben ihm liegt der Mann, der 24 Stunden zuvor zwei Kugeln auf ihn abgegeben hat.

10 Jahre nach dem Verschwinden soll der Fall Bjurwall im Zuge der Neugründung einer Abteilung für unaufgeklärte Verbrechen wieder aufgerollt werden. Im Rahmen des Zeugenschutzprogramms lässt John sich, entgegen aller Warnungen, in sein Heimatland Schweden versetzen, um die Wahrheit über das Verbrechen herauszufinden. Wer war Emelie wirklich und wohin ist sie verschwunden? Ist der damalige Verdächtige wirklich unschuldig, wie er behauptet?
Schnell wird klar, dass die Ermittlungen weitaus komplexer sind als erwartet und nicht nur für John werden sie zu einer großen Gefahr.




Kritik:

Im ersten Teil des Romans erfährt der Leser in zwei Zeitachsen was 2009 und 2019 geschehen ist. In relativ kurz gehaltenen Kapiteln mit vielen Cliffhangern erzählt das Autorenduo Mohlin & Nyström von John Adderley, seinen Ermittlungen in Baltimore und seiner Verbindung zu Schweden, seiner Kindheit und den Grund warum er zurück kommen soll, sowie von Emelie, Heimer - ihrem Vater - und Sissela Bjurwall - ihrer Mutter, ihrem Leben und Verschwinden. Durch die schnellen Wechsel zwischen den einzelnen Erzählsträngen erzeugen die Autoren einerseits geschickt Spannung und erzählen gleichzeitig sehr lebendig vom Leben und Wirken der Protagonisten, so dass der Leser einen breiten Überblick über die Geschehnisse und die beteiligten Personen bekommt. Dennoch haben bei mir eigentlich alle Figuren eine Art schwer zu definierende Antipathie geweckt - egal ob Haupt- oder Nebencharaktere.

Im zweiten Teil nimmt John die Ermittlungen auf und gräbt tief in der Vergangenheit, um herauszufinden was geschehen ist. Dabei kämpft er immer wieder mit sich selbst und seiner eigenen Geschichte, seinen Gefühlen und Erwartungen. Sein Verhalten macht ihn nicht jedoch unbedingt zu einer sympathischen Figur mit der man Mitgefühl entwickeln kann. Im Gegenteil. Er ist arrogant und überheblich und erfüllt für meinen Geschmack zu viele Klischees eines amerikanischen Polizisten: er ermittelt auf eigene Faust, fühlt sich allen überlegen und braucht natürlich eine fette Karre. Stellt sich die Frage, ob die Autoren dieses überzeichnete Bild des amerikanischen FBI Agenten beabsichtig haben, oder ob sie einfach ein paar Crime-Serie Zuviel gesehen haben. 

Noch dazu schwingt bei ihm öfter Rassismus mit, das steigerte seine Beliebtheit nicht gerade.

Seite: 139: „John kapierte noch immer nichts. Wurde von den Polizisten wirklich erwartet, dass sie selbst aufräumten? Gab es keine Mexikaner, die das erledigen - oder wo auch immer die Leute herkamen, die die Drecksarbeit für die Schweden machten?“


Die innere Zerrissenheit der Figur, die zwar immer wieder durchscheint und die eigentlich Mitgefühl hervorrufen müsste, können die Autoren nicht wirklich transportieren, denn zu groß ist der Kontrast zwischen dem was man fühlen müsste und den Gefühlen die man John aufgrund seines Verhaltens entgegen bringt.
In gewisser Weise sind auch seine Ermittlungserfolge zu einfach und zu schnell und stellen den Leser vor die berechtige Frage, warum die Polizisten eigentlich manche Ansätze nicht schon vor 10 Jahren verfolgt haben.

Dennoch konnte ich das Buch kaum aus der Hand legen, da ich die vielen aufgeworfenen Fragen endlich beantwortet bzw. die eigenen Vermutungen bestätigt oder widerlegt haben wollte. Auch John, obwohl weiterhin schwer fassbar, gewinnt im Laufe der Geschichte etwas mehr an Kontur und Lebendigkeit und wirkt weniger kalt und steril.

Der Leser erlebt anhand der Ehe ihrer Eltern, wie sich Emelies Verschwinden auf die Familie und ihr Umfeld ausgewirkt hat und kann vor allem Heimers Verzweiflung fast am eigenen Leib spüren. Hier beweisen die Autoren, dass sie also durchaus emotionalisierend schreiben können.

Das Ende war für mich in seiner Offensichtlichkeit dann doch ein bisschen überraschend und ich kann mich nicht entscheiden, ob es mich begeistert oder entgeistert zurück lässt. Es ist - wie die Figur des Protagonisten - irgendwie schwer fassbar, irgendwie unbefriedigend und trotzdem faszinierend. Weder Happy End noch völlige Katastrophe. Eines dieser Enden, die noch lange nachhallen. 



Fazit:



„Der andere Sohn“ von Peter Mohlin und Peter Nyström ist ein Buch das nicht leicht zu bewerten ist. Einerseits erzählt es eine bzw. genau genommen mehrere wirklich spannende, bewegende Geschichten, andererseits sind fast alle Figuren irgendwie unsympathisch und schwer fassbar, dass es schwer fällt sich in sie hineinzuversetzen oder auch nur eine emotionale Verbindung aufzubauen. Trotzdem schreibt das Autorenduo sehr eingängig und so gut, dass man den Roman kaum aus der Hand kann. Die kurzen Kapitel und die wechselnden Perspektiven erzeugen gekonnt Spannung und man will und muss einfach wissen, wie es weiter geht, wie alles zusammenhängt - falls überhaupt, und was mit den Figuren geschehen wird. Viele dieser Fragen bleiben am Ende unbeantwortet und das lässt den Leser ratlos, unbefriedigt und irgendwie verstört zurück.
„Der andere Sohn“ zieht einen mitten in eine Geschichte aus Lügen, verdrehten Wahrheiten und Verzweiflung und spuckt einen an Ende auch genau da wieder aus, irgendwie mitten in der Geschichte und mit der Erwartung, dass es weiter gehen muss.

Trotz aller Kritik kann ich aber guten Gewissens eine Empfehlung für dieses Buch aussprechen, denn es ist definitiv lesenswert. Ich jedenfalls werde weitere Romane dieser Autoren und Geschichten um John lesen, so es sie denn geben wird, denn die Neugier ist auf jeden Fall da.