Tief bewegende Familien(zeit)geschichte

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jjbert Avatar

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Christian Berkels "Der Apfelbaum" ist ein ausgezeichneter Roman über die Geschichte zweier Liebenden, die sich immer wieder aus den Augen verlieren, deren Liebe sich vor den Schrecken der Zeitgeschichte versteckt, und sie sich dennoch immer wieder finden und nicht voneinander lassen können.

Wer sich für deutsche Geschichte interessiert, sollte definitiv dieses Buch lesen. Sehr einfühlsam beschreibt Berkel das Leben und Leiden seiner Eltern, wie sie sich Otto und Sala bei einem Raubüberfall kennenlernten und ihre Liebe füreinander selbst den Zweiten Weltkrieg, russische Gefangenschaft und Lageraufenthalt in Gurs überlebte. Beide sind sie Heimatlose, getrieben und auf der Suche nach der eigenen Identität. Sala kann sich als Halbjüdin nur schwer mit ihrer jüdischen Seite identifizieren, was vielleicht auch daran liegen mag, dass ihre Mutter sie so früh verlassen und beim Vater zurückgelassen hat. Otto hat seinen Vater nie kennengelernt und wächst in armen Verhältnissen auf, in denen Hunger und Prügel vom Stiefvater auf der Tagesordnung stehen. Doch in beiden steckt die Sehnsucht nach mehr, die Sehnsucht danach, verstanden, geliebt und gesehen zu werden.

Berkel beschreibt nicht nur die Geschichte seiner Familie, er thematisiert dabei auch die deutsche Erinnerungskultur und den Umgang mit der deutschen Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg: "Es geht eben nicht, wie von vielen 68ern missverstanden, um die häufig selbstgerechte Zuschreibung und Festschreibung einer ebenso individuellen wie historischen Schuld an die Adresse ihrer Eltern. Es geht um das Wagnis der Erinnerung für jeden unter uns. Wann dieser Vorgang als abgeschlossen gelten darf, mag jeder für sich entscheiden. Aber wollen wir die Erinnerung benutzen, um uns von etwas zu befreien, das wir nicht getan haben, oder wollen wir mit ihr versuchen, das Bild unserer Identität zu schärfen, zu der auch die Vergangenheit des Zwanzigsten Jahrhunderts und des deutschen Völkermords an den europäischen Juden gehört? Erst mit der Erinnerung gewinnt unser Leben ein Gesicht." (211)

Eine Lektüre mit Tiefgang, die ich nur empfehlen kann!