Obsessionen

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„Der Augentäuscher“ führt nicht umsonst das Wort Täuschung im Titel. Gleich zu Anfang gibt es ein Vorwort des namenlosen Autors. Schon nach kurzem merkt man, dieses Vorwort ist kein Vorwort sondern schon der Roman. Mit unbekümmertem Größenwahn berichtet uns der Erzähler, das er im Besitz von Dokumenten ist, die Beweisen, das die Fotografie schon im Barock erfunden wurde. Und zwar von einem gewissen Silvius Schwarz. Dass er zu Silvius Schwarz kam wie der Jungfrau zum Kind und ebenso unglaublich zufällig  zum 1. Bogen des Setzers Leopolds, der den Beweis liefert, das es Schwarz überhaupt gab, berichtet er ebenso sorglos, wie er überhaupt gerne seine nicht immer astreine Vorgehensweise zugibt, wie etwa den Diebstahl des Briefromanes, die Korrespondenz zwichen Silvius und seiner Cousine bzw Geliebten Sophi,e aus der Tasche der Historikerin Sandra Kopp. Zwischen seinen Berichten über seine Jagd nach den Bögen des Leopoldes und seiner zunehmenden Besessenheit zu besagter Professorin Sandra Knopp, die ihn sogar das Klatschblatt „Gala“ lesen läßt, streut der Erzähler den gemopsten Briefroman ein, so wie er zur Handlung der Bögen annähernd passt.

Der Erzähler berichtet von seiner Mission schonungslos ehrlich, beschönigt weder sein Scheitern an seiner Doktorabeit  sowie sein sozialer Abstieg zum Harz IV Empfänger;  zugleich ist er aber auch ein wenig selbstverliebt, wenn er berichtet, wie er mehr und mehr eine Obsession entwickelt um diesen Silvius Schwarz und sich in seine Forschung hineinsteigert. Sogar seinen ersten Flug absolviert er unter Todesangst. Nach Rom geht es natürlich, wo er in den vatikanischen Archiven einen weiteren Leopoldbogen findet (so ein Zufall!) und ihn natürlich auch zum Wohle der Wissenschaft an sich nimmt. 

Diese dreigeteilte Erzählung hat durchaus ihren Reiz. Die Passagen des Erzählers sind oft witzig und es ist unterhaltsam, ihm bei seiner sich steigernden Besessenheit, bis fast hin zur Paranoia, zu folgen. Die Bögen des Leopolds sind die eigentliche Erzählstimme für mich, denn sie berichtet von der Ereignissen um Silvius Schwarz, der auch einer Obsession nachhing, nämlich der des wahrhaftigen Sehens. In den Bögen findet auch die kleine Krimigeschichte statt, denn zu der Zeit ging ein Mörder um, der berühmte Sänger und Kastraten meuchelte und sie kopfüber gekreuzigt plazierte. Dieses Umkehrprinzip führt die Menschen zu Silvius und seiner Kunst der Camera Obscura und seinen Fotografien, die die Menschen seiner Zeit noch nicht verstehen und für Teufelswerk halten.

Die Briefe sind meiner Meinung nach der Schwachpunkt der Geschichte. Silvius Briefe berichten viel von seiner Arbeit, seinem Sehnen nach der perfekten Abbildung. Sophie, laut Klappentext eine begabte Mathematikerin, schreibt kaum über ihre Arbeit. Sie ist in platonischer Ehe mit einem Mann verheiratet, der so seine Liebe zu anderen Männern kaschiert. Das gibt ihr alle Freiheit, das Treuegelöbnis nicht ernst zu nehmen. Ihre Briefe sind voller Gekreische. Ständig beschwert sie sich, schimpft über zu wenig Aufmerksamkeit und Nörgelt. Das ging mir schon ziemlich schnell auf die Nerven und ich konnte die bewunderte und so begabte Sophie in diesen Briefen  nicht finden. Zudem tragen sie wenig zur Handlung bei, sie sollen wohl mehr den Privatmensch Silvius zeigen, doch auch hier bleibt er fern und unbegreiflich.

Insgesamt ist „Der Augentäuscher“ ein ungewöhnlicher Roman. Er ist unterhaltsam, manchmal auch etwas anstrengend, aber kurzweilig und nimmt sich nicht allzu ernst. Ich habe ihn gerne und recht zügig gelesen. Punktabzug gibt es von mir wegen den Briefen, und dem immer wirrer werdenden Ende.