Verliebt, verlobt, verloren im türkischen Hochzeitslabyrinth

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Während der Lektüre von „Der Boss“ habe ich es bereut, dass ich den ersten Teil von Daniel und Aylins Liebesgeschichte („Macho Man“) nicht zuvor gelesen habe, denn immer wieder wird auf lustige Situationen rekurriert, die in diesem ersten Buch, der das Kennenlernen des deutsch-türkischen Traumpaars umfasste, stattgefunden haben.

Obwohl einem also ein wenig Vorgeschichte fehlt kann man dennoch in „Der Boss“ eintauchen, denn die wichtigsten Personen und die Grundsituation werden nochmal eingeführt. Daniel und Aylin haben sich nach kurzer Zeit des Zusammenseins verlobt – wir erfahren u.a., dass sie ihr „erstes“ Silvester zusammen verbringen – und steuern nun auf die Hochzeit zu, die wohl ca. ein Jahr nach dem ersten Treffen stattfindet.

Man merkt ziemlich schnell dass der Autor Moritz Netenjakob mit der Welt der Comedy vertraut ist, denn Situationskomik heraufzubeschwören ist genau sein Ding. Hier klaffen Welten aufeinander und da bleibt es nicht aus, dass diese jeweils sehr überzeichnet sind. Die intellektuellen 68er Eltern sind übertrieben offen und gegen das Establishment, bewegen sich natürlich hauptsächlich im Kulturmilieu und leben bzw. lebten die Ideale von freier Liebe, Antifaschismus und dem gepflegten rationalen Disput über Sachthemen wie im Bilderbuch. Dagegen steht – ebenfalls gnadenlos überzeichnet – die laute, emotionale und von Vetternwirtschaft, Kitschdekoration, fettem Essen und politischer sowie religiöser Eindimensionalität geprägte Welt von Aylins türkischer Familie, die so ganz ganz anders ist als die von Daniel, dessen Eltern – die der Sohn selbstverständlich mit dem Vornamen anspricht – es tatsächlich wagen nur 27 dem Sohn nahestehende Gäste zur Hochzeit einzuladen, für die vorsorglich schon mal 2000 geschmacklich ausbaufähige Eintrittskarten von der Brautseite geordert wurden.

Natürlich ist die Geschichte so alt wie die Menschheit, nur dass sich die Familien nicht wie bei „Romeo & Julia“ (das als Adaption im Roman von dem befreundeten Regisseur der Familie theatralisch verunstaltet wird) oder Manzonis „Verlobten“ versuchen gegenseitig zu zerfleischen, sondern um Integration des aus der fremden Kultur stammenden Neufamilienmitglieds bemüht sind. Dieses Tauziehen um Integration, das bei der türkischen Familie rigoros und emotional und bei den deutschen 68ern mit ganz viel kulturellem Bewusstsein gemixt mit Ungläubigkeit vor der türkischen Chuzpe einhergeht, ist einfach lesenswert und sehr lustig!

Daniel, der als 68er Kind den Respekt vor Frauen und gleichberechtigte Partnerschaft gepredigt bekommen hat, soll nun für seine türkische Verlobte der Boss sein. Diese Diskrepanz zwischen Anerzogenem und Angefordertem ist besonders pikant und symptomatisch für den modernen Mann, der einmal nicht mit der Emanzipation der modernen Frau, sondern im vorliegenden Fall mit dem Migrationshintergrund der Geliebten zu kämpfen hat. Die Familie ist so groß und in einem Netz von Unwahrheiten und ständig wechselnden Ressentiments gefangen, dass da schon die Entscheidung wer neben wem bei der Hochzeit sitzen soll zur unlösbaren Aufgabe wird.

Das erinnert natürlich an Filme wie „Big Fat Greek Wedding“ und ist in der Tat auch nach diesem Schema aufgebaut: der Weg zur Liebe ist steinig und führt nur über die Völkerverständigung ins Glück!

Die Persiflage der Werbebranche, in die Daniel wieder zurückschliddert, wirkt als Nebenhandlung zuweilen etwas gezwungen, aber vielleicht erscheint einem das auch nur so, weil sie mit dem Humorpotential der Haupthandlung rund um die Hochzeitsplanung kaum mithalten kann.

Ich habe jedenfalls oftmals laut gelacht! Daniel wächst einem mit seiner großen Liebe zu Aylin und seiner Hilflosigkeit angesichts der Situation, in die er hineingeworfen wurde, schnell ans Herz. Ich will mir unbedingt noch den ersten Band „Macho Man“ vornehmen um zu sehen, wie es zu all dem eigentlich genau gekommen ist.

Zum Schluss wage ich jetzt mal die Prognose, dass Aylin und Daniel im nächsten Buch (ich hoffe doch, dass es eine Fortsetzung geben wird) Eltern werden und erneut mit den Diskrepanzen des Kulturunterschieds – nicht zuletzt in Auf- und Erziehungsfragen – zurechtkommen müssen.

“Truth must necessarily be stranger than fiction, for fiction is the creation of the human mind and therefore congenial to it." (G. K. Chesterton)