Was uns zu dem macht, wie wir sind

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elke seifried Avatar

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„Als Eltern greifen sie wie zwei Zahnräder ineinander und bilden das gut funktionierende Familiengetriebe, auf das sich die Kinder stets verlassen können. Doch wehe, Rahel schäumt über. Wehe, das allzu Lebendige bricht sich Bahn. Dann zieht er sich wie eine Schnecke in sein Haus zurück.“ Das beschreibt die Ehe zwischen Rahel und Peter recht gut und da sie sich gemeinsam so einsam fühlt, er sie aus seiner Welt ausgrenzt, soll nun ein gemeinsamer Urlaub eine Antwort auf die Frage geben, „Willst du eigentlich noch mit mir zusammensein?

Als Leser lernt man Rahel kennen, erlebt, wie sehr sie darunter leidet, dass Peter sie so auf Distanz hält, sie scheinbar so überhaupt nicht mehr begehrt. Dazu fährt man mit dem Ehepaar gemeinsam, statt in die Ferienwohnung, die abgebrannt ist, für drei Wochen in die Uckermark, um den Gnadenhof von Ruth und Viktor, da der Onkel einen Schlaganfall hatte und die Tante ihn zur Reha begleiten will, zu verfolgen. Weit ab vom Schuss kann man nun, zwischen flügellahmem Storchfüttern, altersschwachem Pferd Spazierenführen und Gartenarbeit verfolgen, was aus der Ehe wird. Das wird natürlich verraten, nur so viel es gilt nicht nur die Ursachen zu ergründen, warum die beiden an dem Punkt ihrer Ehe stehen und darum zu hoffen, dass sie wieder zueinanderfinden, denn es gilt, „Ich will mich nicht von dir trennen, Rahel, aber auf die Weise, wie du sie brauchst, kann ich derzeit nicht mit dir leben.[…] Auf die vollumfängliche.“, sondern auch um viele andere Themen, wie Mutterrollen, sei es die ihrer Mutter, oder auch ihre eigene, samt dem Verhältnis zu ihren eigenen Kindern, ihrem Leiden, weil sie ihren Vater nicht kennt, oder auch Überlegungen, ob man zu den „Die Ewig-Gestrigen“ zählt, wenn einen Transgender-Diskussionen überfordern, oder man kein Verständnis für moderne Erziehungsmethoden und in der ehemaligen DDR gelebt, kein Drang zu übermäßigem Konsum oder auch Wohneigentum hat. Durch Sohn Simon wird auch das Thema Soldatsein aufs Tapet gebracht.

Die Autorin erzählt ihre unaufgeregte Geschichte aus Sicht von Rahel, was einen ihr am nächsten sein lässt. Ich konnte mich sehr gut hinein fühlen. Da die Autorin sich gekonnt, gewählt auszudrücken vermag, habe ich so z.B. mit Rahel die Eiseskälte, die Enttäuschung deutlich gespürt, wenn Peter einkaufen fahren will, sie beschließt mitzukommen und er dann doch lieber zuhause bleibt, sie sich nach Zärtlichkeit sehnt und er sie ihr so gänzlich verwehrt. Die Geschichte plätschert ein wenig vor sich hin, dafür bekommt man aber durchaus eine äußerst eindrückliche Charakterstudie von Rahel geliefert. Interessanter gemacht werden die 280 Seiten Roman, bei denen am Ende herauskommen soll, was aus der Ehe wird, dadurch, dass man erst nach und nach erfährt, wie es dazu kam, dass er sie so zurückweist, durch kleine Annäherungen, die dann nicht nur durch Besuche von Tochter Selma und deren zwei kleinen Söhnen wieder jäh ausgebremst werden bzw. Rückschläge zu verbuchen haben, und einige andere kleine Nebenschauplätze, die Rahel prägen.

Wie schon erwähnt, von Rahel bekommt man hier eine wirklich eindrückliche Charakterstudie geboten, die sie echt, authentisch und wie mitten aus dem Leben gegriffen darstellt. Peter, mit seinen Eigenheiten, seinen Problemen wird nach und nach gezeichnet, bei weitem nicht so tief wie Rahel, aber dennoch sehr gelungen. Besonders gut getroffen fand ich auch Tochter Selma, bei der man sich zunächst fragt, warum sie wohl immer mehr Aufmerksamkeit und Liebe wie alle andern braucht. Sohn Simon hat nur eine kurze Stippvisite, fällt daher gegenüber allen anderen deutlich ab.

Alles in allem ein unaufgeregter Roman, der eine Ehe am Scheidepunkt samt Rahel und deren Prägung analysiert und dies in gewählter Sprache darstellt, sodass man durchaus gute Unterhaltung bekommt. Für fünf Sterne reicht es bei mir nicht ganz, aber gute vier sind ja auch nicht zu verachten.