Aus dem Herrschaftsbereich der Mafia

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takabayashi Avatar

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Die beeindruckende Geschichte einer Familie aus Süditalien, und im Besonderen die Geschichte von Imma, einem dreizehnjährigen Mädchen, das zu ihrem eigenem Schutz von ihrer Familie in einer Nacht- und Nebelaktion zu einer Tante nach Norditalien verfrachtet wurde.

 

Beschreibungen der Familiengeschichte wechseln sich ab mit der Ich-Erzählung von Imma.

 

Zuerst war ich etwas verwirrt, ob der zahlreichen Personen, aber es dauerte nicht sehr lange, bis ich die Protagonisten und ihre Beziehungen zueinander kannte. Dem Leser eröffnet sich ein Tableau des Alltagslebens in einem süditalienischen Dorf, in dem alle von der Mafia beherrscht werden. Ein Angelpunkt der Geschichte ist Assunta, Immas Großmutter und die Matriarchin der Familie. Die genauen Zusammenhänge - z.B. wer Imma jetzt eigentlich genau ist - erschließen sich erst ganz allmählich. Und auch der Grund, warum Imma das Dorf verlassen musste, wird erst gegen Ende klar ausgesprochen.

 

Des weiteren erfahren wir die Hintergründe über den Umzug der Tante, bei der Imma jetzt lebt, nach Norditalien. Das Verhältnis zwischen Imma und der Tante ist zuerst sehr unterkühlt und distanziert, doch allmählich tauen die beiden auf und kommen sich näher.

 

Imma darf eigentlich das Haus nicht verlassen, um nicht gesehen zu werden. Doch eines Tages findet sie einen versteckten Zweitschlüssel und beginnt von da an, heimlich kleine Ausflüge zu machen. Auf dem nahe gelegenen Markt entdeckt sie einen Stand mit gebrauchtem Büchern und freundet sich mit dem jungen Verkäufer an, in den sie auch ein bisschen verliebt ist. Sie liest u.a. das Tagebuch der Anne Frank, von dem sie sehr beeindruckt ist. Auch die Situation von Oliver Twist erinnerst sie irgendwie an ihre eigene. Und Fahrenheit 451 zeigt ihr die Wichtigkeit von Büchern.

 

Sie ist ein für ihr Alter sehr reifes Mädchen, und macht sich - auch angeregt durch ihre Lektüre - in der vielen Zeit, die sie als Quasi-Gefangene verbringt, Gedanken darüber, wie ihr Leben nun weitergehen soll. Als sie eines Tages beim Blick aus dem Fenster auf der anderen Straßenseite zwei aus dem Süden vertraute Gesichter erkannt, weiß sie, dass ihr Versteck entdeckt worden ist … und fasst einen überraschenden Entschluss.

 

Dieses Buch, in dem es hauptsächlich um drei starke und ungewöhnliche Frauen geht, hat mich vom ersten Moment an in seinen Bann gezogen. Ich bin sonst eher Krimi-Leserin und kenne Margherita Oggero schon als Krimiautorin. Wegen des eher ernsten Themas dieses Romans hatte ich vor der Lektüre so meine Zweifel. Doch diese erwiesen sich als unnötig, denn trotz des "ernsten" Themas ist der Roman spannend und humorvoll geschrieben. Imma und die anderen Frauen sind alle auf der Suche nach Freiheit und Unabhängigkeit, was im Süden Italiens noch keineswegs eine Selbstverständlichkeit ist. Das Dorf im Süden, die Landschaft dort, das Essen und die Lebensweise sind so geschildert, dass man sie vor sich zu sehen meint. Das Ende des Romans kommt sehr plötzlich und überraschend und lässt viele Fragen offen, aber nach dem ersten Frust finde ich das sogar gut und passend - so kann man selbst spekulieren, wie es wohl weitergehen wird.

 

"Der Duft von Erde und Zitronen" spielt zwar im Roman auch eine Rolle, trotzdem verstehe ich nicht, warum man es nicht beim Originaltitel "Die steinerne Stunde" belassen hat, da dieser Begriff für Imma eine große Rolle spielt. Wollte der Verlag damit an die Italien-Sehnsucht der Deutschen appellieren (Kennst du das Land wo die Zitronen blüh'n …)?

Jedenfalls ein sehr fesselnder und warmherziger Roman, der ernste Themen in Form einer spannenden Familiengeschichte erzählt.