Die Geschichte einer Schuld

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theresia626 Avatar

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„Der Duft von Erde und Zitronen“ von Margherita Oggero ist ein wunderschöner, bemerkenswerter und sehr vielschichtiger Generationenroman, der in einem von der Mafia regierten kleinen Dorf in Süditalien seinen Anfang nimmt und in Norditalien spannend zu Ende geht.

 

 Hauptpersonen sind die Frauen der Familien Palumbo/Schettino. Assunta (die Großmutter) ist warmherzig und das Familienoberhaupt, Melina (ihre Tochter) ist eine Träumerin und verliebt sind in den Casanova Nicola Schettino und Imma (die Enkelin) war, wie ihre Mutter Melina, ein verträumtes Kind und entwickelt sich im Verlauf des Romans von einer Außenseiterin zu einer Kämpferin. Rosaria Manconi, die die Ich-Erzählerin Imma anfangs als Extante bezeichnet, und bei der sie wie in einem Gefängnis leben muß, gerät durch einen tragischen Zwischenfall in die Schuld der Familie Palumbo, die Immas Onkel Salvatore einfordert. „Schulden gibt es vielerlei, nicht nur Geld.“ (S. 40) Antonio, Salvatores und Melinas Bruder, verläßt Italien und geht ins Ausland.

 

Eine bewegende und sehr zu Herzen gehende, schier ausweglos erscheinende Geschichte, die von Kapitel zu Kapitel zwischen Vergangenheit und Gegenwart wechselt. So erfährt der Leser langsam das gesamte Ausmaß der Tragödie, die unerwartet über die Familie Palumbo hereinbricht. Anfangs noch glücklich und zufrieden mit ihrem Leben, auch weil sie von Don Raffaele, dem Mafia-Boss des Dorfes, nicht behelligt werden, müssen sie später seine Rache und die seines jüngeren Sohnes Enzino fürchten. Leider verrät der Klappentext diesmal wieder entscheidende Inhalte des Romans, so daß ich nur empfehlen kann, ihn nicht zu lesen. Der Leser sollte von Imma erfahren, wie es dazu kam, daß sie in einer Nacht- und Nebelaktion aus ihrem Heimatdorf in der Nähe von Neapel fliehen mußte, um Schutz bei ihrer Tante Rosaria im Norden Italiens zu finden. Das Verhältnis zwischen Imma und Rosaria ist anfangs sehr unterkühlt, fast feindselig. Später leben beide in der kleinen Wohnung friedlich zusammen und Imma erfährt Stück für Stück von Rosaria, was diese_,_ die eigentlich auch aus dem Süden kommt, in den Norden Italiens verschlagen hat. „Obwohl sie jeden Morgen zur Arbeit gehen darf, kommt es mir vor, als würde auch sie im Gefängnis sitzen. Ein anderes Gefängnis, das sie selbst um sich herum errichtet hat, …“ (S. 96).

 

Imma ist die meiste Zeit allein zu Hause und leidet unter ihrer Einsamkeit. Sie beginnt neben ihren Schulbüchern heimlich Romane zu lesen, die ihr Paolo, ein Buchhändler vom nahegelegenen Markt anbietet. Zu ihm schleicht sie sich, wenn Rosaria arbeiten geht. Imma hatte einen Schlüsselbund zwischen dem Bettzeug ihrer Tante gefunden und öffnet sich so, bis zur Unkenntlichkeit verkleidet, die Tür zur Außenwelt. Imma lernt durch den dystopischen Roman „Fahrenheit 451“, daß selbständiges Denken wichtig ist und aus Anne Franks Tagebuch erfährt sie, daß man seinen Lebensmut niemals verlieren darf. „Manchmal entscheidet sich ein Leben in einer einzigen Sekunde, einfach weil man falsch abgebogen ist.“ (S. 278/279). Imma wird sich für den richtigen Weg entscheiden.

 

Margherita Oggero, die Grande Dame unter den italienischen Krimiautoren, läßt auch in ihren vorliegenden Roman stilistisch gekonnt mehrere Verbrechen einfließen. Ferner geht es in „Der Duft von Erde und Zitronen“ um das unzerreißbare Band der Liebe, das eine Familie zusammenhalten läßt, um Verrat, Habgier, Neid und Mißgunst. Die herrlichen Landschaftsbeschreibungen lassen den Leser träumen, und er wandert mit Imma durch die wunderschöne Gegend und riecht förmlich den Duft von Zitronen, die ihre Mutter gerne in einem kleinen Weidenkörbchen auf den Tisch stellte. Der großartige Schreibstil und die faszinierende, spannende Erzählweise machen den Roman zu einem Leseerlebnis mit einem überraschenden, völlig offenen Ende. Ich habe ihn sehr gerne gelesen.