gescheitertes Geflügel

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martinabade Avatar

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Der Werbeclaim des Verlages für dieses Buch lautet: „Der neue Roman der Buchpreisträgerin Antje Rávik Strubel: Federleicht und messerscharf.“
Schau’n wir mal.

In der norddeutschen Stadt, in der ich lebe, gibt es einen Antje Rávik Strubel Fan-Kreis. Okay, das ist wahrscheinlich eine kleine feine Literaturblase bestehend aus LeserInnen und KennerInnen. Trotzdem war mein punktueller Kontakt mit dieser Blase der Auslöser, mich für meinen nächsten eigenen Text für diesen Titel zu entscheiden. Immerhin hat Rávik Strubel viele Nominierungen und Preise für ihr Werk „abgestaubt“, nicht zuletzt erhielt ihre „Blaue Frau“ 2021 den Deutschen Buchpreis 2021. Und sie übersetzt, und das ist ein Berufsstand, der meine höchste Bewunderung hat. Der Klappentext insinuiert, daß ich, wenn es mit der Tiefe im Roman nicht klappt, wenigstens einen guten Kriminalroman hätte.

Hella Renate Karl ist Chefin eines großen Feuilletons einer großen Tageszeitung in einer großen deutschen Stadt. Sie hat Connections kurz: Konnecke, Erfolg und Macht. Sie ist introvertiert und extrovertiert. Sie lebt mit einem Mann, der im Text nur mit der Abkürzung seines Vornamens, in kursiven Buchstaben und mit der Beschreibung seiner primären Geschlechtsteile erscheint. Freunde hat sie keine.

Der Plot überfällt unsere Protagonistin hinterrücks als die Medien eines Tages melden, Kai Hochwerth, lange Zeit einflussreicher Regisseur und Theaterleiter habe sich in Sydney suizidiert. Er begleitete zu dieser Zeit seine Ehefrau Patrizia Mingo, eine hoch akklamierte Opernsängerin, auf Tournee.

Der Plot nimmt Tempo auf, als sich Hella Karl bei einem TV Interview zu der These versteigt, dass DIE Medien mit ihrer Berichterstattung über eine bestimmte Station in Hochwerth‘s Karriere eine Mitschuld an dessen Freitod haben könnten. Und – dass sie, Hella Karl, höchstselbst mit der Schlagzeile „Intendant zwingt Schauspielerin zur Abtreibung“ beigetragen haben könnte.

Das Buch ist ein Aufdeckungsroman über die Zustände an deutschen Theatern. Brandneue Idee, noch nie gehabt.

Das Buch ist ein Aufdeckungsroman über die Zustände in deutschen Zeitungsredaktionen. Brandneue Idee, noch nie gehabt.

Das Buch erzählt über den Kampf klassischer Medien gegen oder mit den so genannten Social Media. Brandneue Idee, noch nie gehabt.

Das Buch erzählt über die nicht steuerbare Dynamik und Hetze aller Medien gegen Individuen. Brandneue Idee, noch nie gehabt.

Das Buch erzählt über das Machtgefüge zwischen Männern und Frauen, im Privaten, im Job, im Bett. Brandneue Idee, noch nie gehabt.

Das Buch erzählt über Sex und sexuelle Gewalt zwischen Männern und Frauen, im Privaten, im Job, im Bett. Brandneue Idee, noch nie gehabt.

Das Buch hat zahlreiche wunderbare, nahezu beglückende kleine essayistische Betrachtungen und Einlassungen, getarnt als Tagebuchartiges oder innerer Monolog, daherkommend wie gerade aus dem Blusenärmel gerutscht.

Und zwischendurch, an ein paar wenigen Stellen, hopst Geflügel durch die Szene. Das kenne ich in der Tat noch nicht.