Verstörend

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
taina Avatar

Von

Hella Renata Karl, Leiterin des Feuilletons einer großen Zeitung, ist schuld am Suizid von Kai Hochwerth – oder doch nicht? Ihre Berichterstattung über einen Fall von Machtmissbrauch hat zu seinem Rauswurf aus dem Theater geführt, das er leitete. Nun macht die Presse sie für seinen Tod verantwortlich, wogegen sie sich mit aller Macht stemmt.
Kai Hochwerth und sie haben sich beide aus einfachen Verhältnissen hochgekämpft. Sie ist von ihrer Wirkung, ihrer Macht, ihrer Schönheit überzeugt, ihren inneren Monologen kann man entnehmen, dass sie sich im Recht wähnt. Hat sie nicht nur das berichtet, was augenscheinlich stimmt? Die Frage, ob das Wie gerechtfertigt war, stellt sie sich nicht. Sie wollte nicht Gerechtigkeit, sie wollte ganz nach oben, mit ihrer Berichterstattung etwas ausrichten. Dafür hat sie den Pfad des Qualitätsjournalismus verlassen und etwas losgetreten, was nicht mehr steuerbar war. Ihre Reflexionen über sich zeigen eine verhängnisvolle Selbstbezogenheit. Sie ist unfähig zu echten Beziehungen, auch ihr Verhältnis zu ihrem Lebensgefährten, den sie nur T. nennt, ist nicht so, wie sie es glaubt. Sie nimmt kaum Anteil an seinem Leben und merkt nicht, wie er sich verändert, sich von ihrer Schönheit, die vielleicht auch schon der Vergangenheit angehört, nicht mehr faszinieren lässt. Als er sich von ihr trennt, beteuert sie vor sich selbst, nicht die geringste Ahnung gehabt zu haben, dass es so kommen würde, die Leser/innen hingegen hatten es kommen sehen. In ihren Tagträumen ist er der Verlierer, wie alle, die ihr nun wegen Hochwerths Tod nachstellen und sie zur Verantwortung ziehen wollen. Immer enger kreisen ihre Gedanken um sich selbst, sie dreht sich in ihnen ein wie in einer Schlinge, die sich fester zuzieht. Sie wirkt psychisch zerrüttet, am Ende. Aber Hella bemerkt dies nicht und gibt nicht auf: Sie sieht eine Chance, das Geschehen zu ihren Gunsten zu wenden, und hat auch schon jemanden im Blick, der am Tod von Hochwerth in Wahrheit schuld sein könnte. Schon setzen neue Phantasien ein. Wie besessen verfolgt sie diese Spur. Und die Fasane? In der Mythologie stehen sie auch als Symbol dafür, dass Projekte und Vorhaben erfolgreich sein werden. Hella sieht die Tiere, die durch sie aufgeschreckt werden, zunehmend öfter. Erfolg bringen sie ihr nicht.
Dass die sozialen Netzwerke selbst dann verhängnisvoll wirken, wenn die zugrundeliegenden Fakten vielleicht richtig sind, ist in unserer Gegenwart immer wieder zu sehen. Hella hat den sozialen Tod Hochwerths herbeigeführt und den realen begünstigt. Dieser Wahrheit stellt sie sich nicht. Der Roman zeigt die psychische Abwärtsspirale Hellas auf beeindruckende Art und Weise. Sie, die glaubt, die Medien zu beherrschen, sie bespielen zu können, bemerkt bis zuletzt nicht, dass sie längst zu deren Spielball geworden ist.