verbrecherische Homosexualität

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majandra Avatar

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1) Inhalt

Kommissär Reitmeyer und sein Team ermitteln in verschiedenen Mordfällen: Zuerst wird ein Toter auf der Ludwigsbrücke gefunden, bei dem die Todesursache nicht eindeutig festzustellen ist, dann ein weiterer in einem vornehmen Badehotel, zwischendurch wird der Polizeischüler Rattler niedergeschlagen, es kommt zu mehreren Selbstmorden … Die Polizei stellt schließlich fest, dass sie es mit einem Schwulen-Skandal zu tun hat, nachdem äußerst kompromittierende Fotografien auftauchen. Es handelt sich außerdem um einen sehr verstrickten Fall, da Militärs involviert zu sein scheinen – und die Polizei hat kein Recht dazu, sich in die Belange von Soldaten einzumischen. Dennoch ermittelt Reitmeyer weiter und stellt schließlich fest, dass seine alte Jugendliebe Caroline von Dohmberg, mittlerweile Ärztin und nebenbei Gerichtsmedizinerin, irgendwie in die Vorfälle verstrickt zu sein scheint. Ihr Bruder Franz, selbst homosexuell, hat etwas mit der Sache zu tun und wird erpresst, was sie in die Hand zu nehmen versucht. Nebenbei wird nach dem Mord an Kaiser Franz Ferdinand in Sarajevo zudem deutlicher, dass es zu einem erneuten Krieg kommen wird – und die Ausschreitungen gegenüber fremdländischen Mitbürgern werden immer heftiger.

2) Sprache und Stil

Der Roman bedient sich grundsätzlich einer recht einfachen und gewöhnlichen Sprache. Es fällt auf, dass im Dialog verschiedener Personen zwar dialektale Elemente gebracht werden, eine wirklich deutliche Färbung in Hinblick auf einen speziellen Dialekt ist aber nicht darzustellen. So handelt es sich wohl nur um einen Versuch, die Alltagssprache von der restlichen „Buchsprache“ abzugrenzen. Auch geht sprachlich nicht hervor, dass der Roman in der Vergangenheit (1914) spielt – zwar werden einzelne Fachbegriffe wie Majordomus oder Schwere-Reiter-Leibregiment verwendet, das ist aber auch schon alles. Dadurch entsteht der Eindruck eines leicht verständlichen, nicht besonders anspruchsvollen Kriminalromans.

3) Analyse

Besonders das Titelbild besticht mehr als der Inhalt mit historischer Qualität. Es zeigt eine frühe Gastgarten-Ansicht, auf der eine Person im Hintergrund farblich hervorgehoben ist. In Bezug auf die Lektüre könnte es sich dabei entweder um die Hauptperson, den Ermittler Reitmeyer, oder um den Täter und Mörder handeln.

Die eindrucksvollsten Szenen des vorliegenden Romans sind noch jene, in denen die Ermittlungsarbeit der Polizei in ihrer historischen Qualität dargestellt wird. Beispielsweise ist die Vorgangsweise einer Obduktion zu damaliger Zeit eine völlig andere als heute, beziehungsweise werden ermittlungstechnische Überlegungen in anderem Licht dargestellt, als wir es von heutiger Polizeiarbeit gewöhnt sind. So macht schon der Geruch ein Stockwerk oberhalb der Pathologie auf die Vorgänge im Keller des Präsidiums aufmerksam, oder der junge Polizeischüler Rattler wird immer wieder gerügt, weil er sich mit Artikeln in Fachzeitschriften beschäftigt, die „moderne“ Ermittlungsverfahren darstellen.

Besonders sympathisch ist aus diesem Grund hauptsächlich Polizeischüler Korbinian Rattler. Durch seine jugendliche Neugier, die wissbegierige Motivation und die unschuldige Menschlichkeit, die er an den Tag legt, wird er zu einem natürlichen und überzeugend realistischem Protagonisten. In diesem Sinne ist eigentlich er der geheime Held des Romans – er ermittelt auf eigene Faust und bringt so manche Ergebnisse, auf die der klassische, alt eingesessene Polizeiapparat nicht gekommen wäre. Dass er aus demselben Grund immer wieder „eine auf den Deckel“ bekommt, macht ihn nur umso sympathischer.

4) Kritik

Wer einen historischen Kriminalroman erwartet, wird hier leider enttäuscht. Bis auf das Titelblatt und die Tatsache, dass durch Jahreszahlen immer wieder auf das Jahr 1914 hingewiesen wird, lässt sich wenig Historisches entdecken. Es treten zwar typische Figuren wie Soldaten oder Hausangestellte auf, durch das Vorhandensein solcher Protagonisten wird allerdings noch kein historischer Eindruck vermittelt. Der Roman verzichtet auch in der Schilderung der Umgebung oder des Alltags darauf, eine solche Atmosphäre zu erzeugen. Eher wirkt die Handlung wie eine gegenwärtige, die mit Hilfe zu weniger Details versuchsweise in der Vergangenheit angesiedelt wurde. Vielmehr handelt es sich aufgrund des Homosexualitätsthemas um einen Roman, der zwangsweise in der Vergangenheit angesiedelt sein muss, da das Thema heutzutage natürlich keinen Skandal mehr hergibt. Es wäre jedoch vielleicht sinnvoller gewesen, die Handlung nicht gerade in die politisch hochbrisante Zeit des Mordes an Kaiser Franz Ferdinand anzusiedeln, wenn auf diese historischen und politischen Umschwünge nicht konkreter eingegangen wird.

Auch die Auflösung, wer der Mörder ist, bietet kein „Aha-Erlebnis“, im dritten Drittel des Romans mehr und mehr deutlich wird, um wen es sich handelt. Eher scheint hier unverständlich, aus welchem Grund der Abschluss der Ermittlungsarbeit nun literarisch um weitere 100 Seiten verzögert wird.

5) Empfehlung

Der Roman ist sicherlich geeignet für jeden interessierten Krimileser. Allerdings darf man keine besonders originelle oder außergewöhnliche Handlung erwarten.