Enttäuschend

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»Heute weiss ich auch, dass wir Frauen nie mehr diejenigen geworden sind, die wir vor dem Krieg waren. Frauen, die sich wochenlang mit Schwielen an den Händen, Blasen an den Füssen und steifen Gelenken einen Weg durch den Schutt freigeschaufelt hatten, die sich Lumpen statt Monatsbinden in den Schlüpfer stopfen mussten – solche Frauen lassen sich nicht mehr bevormunden. Es gibt eine Redensart: Der Krieg stärkt die Nylonstrümpfe und die Frauen. Und sollten wir dir am Ende noch danken, Adolf, du Hurensohn?« – S. 136

Jeder von uns hatte sie, die Helden seiner Jugendtage. Bei manchen war es eine ganz spezielle Band, ein anderer verehrte einen Sportler und ich vergötterte eine Autorin. Schon damals war ich ein Bücherwurm durch und durch. Alles was ich von Federica de Cesco in die Finger bekam wurde gelesen, ich wusste, was mich erwartete und ich liebte sie dafür. Fremde Kulturen und Völker, starke Protagonistinnen und Geschichten, die so spannend waren, dass ich das Buch nicht mehr aus den Händen legen konnte. Bis ich irgendwann dachte „Nun bist du zu alt für ihre Bücher“.
Erst letztes Jahr entdeckte ich sie wieder und tauchte mit Die Traumjägerin erneut ein in fremde und seltene Kulturen und war geflasht, wusste wieder, warum ich sie vor etlichen Jahren so vergötterte. Und natürlich hoffte ich bei ihrem neuen Titel Der englische Liebhaber auf das selbe überwältigende Gefühl.

Die nun folgende Rezension ist nicht ganz Spoilerfrei, wen das stört, der scrolle bitte bis zum Fazit vor.

Eine Liebe im Nachkriegsdeutschland – Hallo Klischee!
Der englische Liebhaber erzählt die Geschichte von Anna und Jeremy, die sich im November 1945 kennen lernen. Jeremy ist Offizier der britischen Armee und Anna arbeitet als Übersetzerin auf dem britischen Militärstützpunkt in Münster. Sie fühlen sich sofort zueinander hingezogen und es folgt, was unweigerlich folgen musste. Die beiden verlieben sich, nähern sich an und mieten ein altes, schäbiges Zimmer in der Innenstadt für romantische Stunden. Jeremy verspricht Anna die Ehe und um seine Angelegenheiten zu regeln, kehrt er nach England zurück. Kurz nach seiner Abreise bemerkt Anna dann, dass sie schwanger ist und versucht ihren Geliebten zu erreichen, doch vergeblich. Ihr merkt es vielleicht bereits meinem Ton an, die Geschichte hat mich als solche nicht aus den Socken gehauen. Da nützte auch der beigelegte Brief der Autorin nichts, der darauf hinwies, dass die Geschichte auf einer wahren Begebenheit beruht. Der wirkte nämlich eher wie eine Bitte um Nachsicht, da die Geschichte ja vom Leben selbst geschrieben wurde.
Was mich aber wirklich masslos enttäuschte, war die Anhäufung an Klischees: der schöne britische Offizier (verheiratet notabene), der sich in das graue Mäuschen verliebt und ihr etwas von grosser Liebe erzählt und dann verschwindet. Die junge Geliebte, die natürlich schwanger wird und vergeblich nach ihrem Prinz sucht und ihn erst ein Vierteljahrhundert später wieder findet. Natürlich entflammt die Liebe wieder neu und die alte Leier beginnt von vorne. Die Geschichte war so langweilig, wie vorhersehbar.

Wo sind die starken Protagonistinnen hin?
Aber nicht nur, dass die Geschichte nicht wirklich das Gelbe vom Ei war, ich habe auch die aussergewöhnlichen Frauenfiguren, die normalerweise ein Markenzeichen von Federica de Cescos Geschichten sind, vermisst. Anna war nicht die starke, unabhängige Frau, die ich mir erhofft hatte. Spätestens nachdem sie zum zweiten Mal auf Jeremys Gesülze hereinfiel, empfand ich sie einfach nur noch als naiv und gutgläubig.
Leider erging es mir mit Jeremy und Annas Tochter Charlotte auch nicht besser. Während der eine absolut unergründlich blieb, wirkte die andere in ihrer Rebellion gegen die Mutter und das System unglaublich kindisch und durchgehend wütend auf alles und nichts.
So bleibt unter dem Strich nur ganz viel Distanz zu den Charakteren übrig.

»Es mag sogar stimmen, was du sagst«, meinte er. »Wenn ein Mann und eine Frau füreinander bestimmt sind, merken sie es vom ersten Augenblick an. Aber ich wollte mir nichts vormachen. Ich war ja der Feind.« – S.142

Laaaangatmig und laaaangweilig
Und auch mit der Spannung wollte es nicht so recht hinhauen. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, war die Geschichte sehr vorhersehbar und barg keine wirklichen Überraschungen. Zu allem Übel gesellte sich zu dieser Tatsache auch noch ein sehr träger Schreibstil, der die Geschichte nicht wirklich vorwärts brachte. Stets wurde wiederholt, wie einsam Anna doch sei und wie sehr sie sich nach ihrem Liebsten sehnte. Das mag ja stimmen, aber irgendwann dürfte es auch der unaufmerksamste Leser gecheckt haben. Für alle anderen wird es so einfach nur anstrengend und ermüdend zu lesen. Das ging manches mal gar so weit, dass ich lieber zu einem anderen Buch griff.
Einzig die historischen Fakten und die Schilderungen des Lebens in der Nachkriegszeit konnten mich einigermassen bei der Stange halten und mein Interesse wecken.

Fazit
Ausser Spesen, nix gewesen. (Wobei ich in diesem Fall ja auch keine Spesen verrechnen könnte, da es sich um ein Rezensionsexemplar handelt.)
An Der englische Liebhaber konnten mich weder die Geschichte, noch die Charaktere und nicht einmal der Schreibstil überzeugen. GeschmacksacheDas einzige, was mich etwas bei der Stange hielt, waren die historischen Schilderungen. Unter dem Strich bleibt bei mir nur eine einzige grosse Enttäuschung zurück, da ich so ziemlich alles vermisste, was die Bücher meiner liebsten Autorin aus Jugendtagen ausmachten. Es war nicht spannend und packend geschrieben und auch die Protagonistinnen blieben blass und auch die Liebesgeschichte war vorhersehbar.
Für einige mag die Geschichte vielleicht herzergreifend sein, ich wurde einfach nur enttäuscht.