Wenn die Vergangenheit ruft... "Der Erinnerungsfälscher" von Abbas Khider

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herrfabel Avatar

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In Abbas Khiders neusten Roman "Der Erinnerungsfälscher" erzählt er sehr locker und leicht von den Wirren der deutschen Bürokratie, des deutschen Asylverfahrens, vom Kampf mit den Behörden und irgendwie auch dem, was man hierzulande von Migranten erwartet oder zu wissen glaubt. Und Khider blickt zurück auf das Leben seines Protagonisten Said Al-Wahid, der durch die Nachricht seines Bruders zur sofortigen Reise in sein Heimatland aufgerufen wird. Saids Mutter liegt derzeit in einem Bagdader Krankenhaus im Sterben, die Zeit drängt, doch da gibt es noch so einige Probleme mit dem Reisepass und seinem Asylantrag.

"Saids Leben in Deutschland neigte sich, so schien es, dem Ende zu. Sechs Jahre verloren schlagartig ihre Bedeutung. [...] Es war, als ob Saids Leben kein Leben wäre, sondern ein überflüssiger Satz in den Akten der Behörden: Jeder konnte ihn mit einer flüchtigen Bewegung wegstreichen. Es war ein wertloses Leben, nur ein Furz am Rande aller Welten."

Ich wünschte, dieser Roman hätte mir mehr gegeben oder besser gesagt einen bleibenderen Eindruck hinterlassen, denn gerade durch Khiders vorherige Romane und das allgemeine, durch die Medien geprägte Bewusstsein über Migration, Asylprobleme und Co, ist es mehr eine kleine, leicht zugängliche Geschichte, die einen Einblick in das komplexe Gefüge aus Bürokratie, Flucht, (Un)Menschlichkeit und Heimat bietet, aber auch nicht wirklich mehr erzählt. Und das ist irgendwie sehr schade, denn der Hintergrund ist schon sehr tragisch. Said hat früh seinen Vater verloren, dieser wurde hingerichtet als er acht Jahre alt war. Er hat alles zuhause aufgegeben, sich über zahlreiche Hürden nach Berlin gekämpft, sehr umständlich eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, sich hier eine neue Heimat aufgebaut, eine eigene Familie gegründet und ist nun gefordert zu seinen Wurzeln zurückzukehren und sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen, aber gleichzeitig erkennt Said eben auch, dass kaum noch (echte) Erinnerungen vorhanden sind. Und das wäre in ausführlich wahrscheinlich ein sehr mitreißender Roman gewesen, der gerne an die 300 Seiten hätte haben können und viel über das Schicksal der Geflüchteten verraten hätte. So ist es aber eher ein Rückblick in die Vergangenheit, alles Erkämpfte ist schon da und es werden Möglichkeiten gesucht eine Verbindung zur Vergangenheit herzustellen und das dann auch in einem eher weniger berührenden Schnellverfahren.
Daher empfehle ich diesen Roman eher jenen, die noch nichts über Flucht, Migration oder Einbürgerung in Deutschland gelesen haben, denn "Der Erinnerungsfälscher" ist wirklich ein nettes, schnell zu lesendes 'Einsteigerbuch' in die Thematik, es hat einige wirklich schöne, tiefgründige Gedanken, aber sonst... lieber anderes.

"Er ist nie mit seiner kleinen Familie heimgereist und nun liegt seine Mutter im Sterben. Als Said wegging, war das Land ein Loch der Verzweiflung; zwei Jahrzehnte später ist es zu einem Loch der Hoffnungslosigkeit geworden."