Wider die Faktenhuber

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buecherfan.wit Avatar

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In seinem neuen Roman ”Der Fälscher, die Spionin und der Bombenleger” zeichnet Alex Capus die Lebenswege von drei Personen nach, die zum Teil zeitgleich im 20. Jahrhundert gelebt haben. Der bekannteste von ihnen ist Felix Bloch (1905-1983), der zunächst in Zürich ein Jahr lang Maschinenbau studiert. Als er erkennt, dass ihm die Gussschachtdeckelproduktion als Lebensaufgabe nicht reicht, wechselt er zu Atomphysik und arbeitet später mit den bedeutendsten Physikern seiner Zeit zusammen. Zu Beginn des Romans begegnet der Leser Laura d´Oriano (1911-1943), einem jungen Mädchen, das von einer Karriere als Sängerin träumt. Anders als ihre Mutter möchte sie ohne Einsatz körperlicher Reize eine wirkliche Künstlerin werden. Der dritte im Bunde ist Emile Gilliéron (1885-1939), ein begnadeter Zeichner, dessen Vater schon Heinrich Schliemann bei den Ausgrabungsarbeiten in Troja durch sein zeichnerisches Können unterstützte. Der Sohn arbeitet für Arthur Evans und lässt mit viel Fantasie und handwerklichem Geschick die minoische Kultur auf Kreta wieder auferstehen. Steinhaufen und Reste von Fresken vervollständigt er zu Kunstwerken und verdient eine Menge Geld mit in Deutschland produzierten Minoika, bis sich in der Archäologie ein wissenschaftlicher Ansatz durchsetzt und die Kopien als romantisierende, das Original verfälschende Nachahmungen kritisiert werden.

Alle drei beginnen mit hohen Zielen und scheitern doch grandios. Der Pazifist Felix Bloch wollte nie der Kriegsmaschinerie zuarbeiten und entwickelt schließlich mit Oppenheimer und anderen in Los Alamos die Atombombe. Als europäischer Jude hatte er zwar gute Gründe, zur Beendigung des Holocaust beizutragen, aber als Hitler auch ohne die Bombe unterliegt, hat er an der Entwicklung eines Massenvernichtungsmittels mitgearbeitet, das die gesamte Menschheit auslöschen könnte. Laura d´Oriano muss erkennen, dass aus ihr nie ein Star wird. Stattdessen tingelt sie durch billige Kaschemmen und wird zu einer Spionin der Allierten.  Vater und Sohn Emile Guilliéron hatten zwar großes Talent, wurden aber keine bedeutenden Künstler, sondern lediglich sehr erfolgreiche Fälscher und Kopisten. Die Sympathie des Autors haben sie allemal, wie die zahlreichen Kommentare über Faktenhuber, leidenschaftslose Erbsenzähler und Korinthenkacker zeigen (z.B. S. 148, S. 221-223).

Capus wechselt zwischen den gut recherchierten Biographien hin und her und reichert vor dem authentischen zeitgeschichtlichen Hintergrund die Fakten durch fantasievolle Fiktionalisierung an. Wie schon mehrmals zuvor - zuletzt in seinem Roman “Leon und Louise” (2011) - entsteht dadurch ein gut lesbares Beispiel für Doku-Fiktion. In Wirklichkeit sind sich die drei Personen nie begegnet, auch wenn der Autor eine mögliche Begegnung im Bahnhof von Zürich im Jahr 1924 andeutet und spätere Begegnungen von jeweils zwei der Protagonisten für möglich, aber nicht für wahrscheinlich hält. Insgesamt wirkt die Verknüpfung der drei Schicksale etwas gewollt und künstlich.

Der Autor jongliert gekonnt  mit den Geschichten und verwendet einen auktorialen Erzähler, der sich immer wieder einmischt und direkt an den Leser wendet. Das geschieht schon auf der ersten Seite des Romans: “Ich mag das Mädchen. Mir gefällt die Vorstellung, dass ….Es könnte Anfang November 1924 sein, an welchem Tag genau, weiß ich nicht.” (S. 7). Für diese Erzählerkommentare gibt es viele Beispiele im Roman.

Capus´ neuer Roman ist anders als der Vorgänger, auf jeden Fall weniger berührend. Das ständige Hin und Her zwischen den drei Biografien ist auf Dauer etwas ermüdend, und es erschließt sich dem Leser letztlich nicht, was sie eigentlich miteinander zu tun haben.