Mehr Sachbuch als Roman

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waldeule Avatar

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Für mich kein Roman, sondern vielmehr ein Biografie bzw. die Teilbiografie dreier (eigentlich vierer, da auch Emile Gilliéron sen. großen Raum einnimmt) interessanter Persönlichkeiten in den unruhigen Zeiten des 2. Weltkrieges. Da wäre Emilie Gilliéron jun. und sein gleichnamiger Vater, die die archäologischen Funde in Griechenland „kreativ“ rekonstruieren, die Künstlertochter Laura d’Oriano, die statt Sängerin schließlich zur Spionin wird und der Schweizer Felix Boch, der eigentlich ein ganz und gar unpraktisches Berufsleben als Atomphysiker führen will und letztendlich beim Bau der Atombombe mitwirkt. Drei/Vier ganz unterschiedliche Persönlichkeiten, deren Wege sich wohl nie gekreuzt haben, die aber gemeinsam in diesem sehr einzigartigen Buch ihren Platz finden.

Capus erzählt in der dritten Erzählperspektive, lässt aber immer wieder eigene Gedanken in der Ich-Form miteinfließen. Es ist ein sehr eigenwilliger Stil zwischen Nähe und Distanz, den er so zu seinen Protagonisten schafft. Zum einen erzählt er sehr detailliert aus deren Leben wie es war bzw. wie es gewesen sein könnte, zum anderen lässt er wichtige Gefühle oder Gedanken außen vor, wenn sie historisch nicht nachweisbar sind. Diese Lücken muss man als Leser einfach aushalten und akzeptieren, dass es hier um historische Menschen geht, denen man nicht einfach Gedanken und Gefühle unterschieben kann. Ich hatte gerade am Ende den Eindruck, wir schauen von außen auf das Leben der Protagonisten, ihr Innerstes bleibt uns aber verborgen. Bis zum Ende des Buches konnte ich deswegen auch keine gefühlte Verbindung zu ihnen aufbauen, emotional blieben sie mir fremd. Allerdings ist das für eine Art Sachbuch auch angemessen.

Der gesamte Aufbau des Buches ist ungewöhnlich. Die Stränge laufen parallel, nur mit losen Verbindungen wie ein mögliches zufälliges Aufeinandertreffen. Vor allem gibt es keinen klassischen Spannungsbogen, sondern die Lebensgeschichten werden linear erzählt – mit Höhen und Tiefen in den jeweiligen Biografien. Das kann mancher Leser als langatmig empfinden, für mich war es ein ruhiges und entspanntes Dahinplätschern, das mir gefallen hat. Was Felix Bloch in seinem Laboren und Kellern konstruierte und welche Gedankengänge hinter der Jagd nach den Neutronen steckten, habe ich zwar nicht verstanden, dies aber auch nicht als störend empfunden.

Anhand der sehr unterschiedlichen Lebensentwürfe werden unterschiedlichste Themen und Fragestellungen angesprochen, über die es sich nachzudenken und zu diskutieren lohnt. Ist es richtig, archäologische Fundstücke durch die eigene Phantasie so zu ergänzen, wie es gewesen sein könnte (aber auch nicht)? Ist es richtig, eine vernichtende Bombe zu bauen, nur um schneller als der Gegner zu sein? Ist es richtig, seine Kinder in der liebenden Obhut des Vaters und der Großeltern zurückzulassen, um seinen eigenen Weg zu gehen?

Fazit: Ein ganz und gar ungewöhnliches Buch, eine Mischung aus Biografie und Roman vier unterschiedlicher Personen in den bewegten Zeiten des 2. Weltkrieges. Mir hat dieses ruhige Buch gut gefallen, aber um wirklich Eindruck zu hinterlassen, fehlte mir die emotionale Bindung. 4 Sterne für ein überdurchschnittliches Buch.