Vielschichtig und atmosphärisch

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pusteblume11 Avatar

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Wer einen Krimi oder gar einen Thriller in „Der Fall Kallmann“ erwartet, wird enttäuscht sein, denn das Buch ist keines von beiden. Action, Nervenkitzel und atemraubende Spannung findet man hier auch nicht. Vielleicht wäre ein anderer Titel besser gewesen, denn dieser suggeriert, dass es sich um einen Krimi handelt. Die Inhaltsbeschreibung ist auch etwas missdeutig formuliert. „Leon Berger will den Fall Kallmann lösen – seine privaten Ermittlungen setzen etwas in Gang...“. Das könnte man falsch verstehen und meinen, dass es in diesem Buch darum geht, wie der Lehrer Berger ermittelt und den Fall löst. Aber so ist es nicht. Es geht zwar um den Fall Kallmann, aber er ist eher wie ein roter Faden an dem sich die Handlung aufbaut und ist nicht das Hauptthema. Nesser geht es nicht um erster Linie um die Lösung des Falls. Zumindest war dies mein Eindruck.

Die Geschichte wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Abwechselnd in tagebuchähnlichen Kapiteln kommen verschiedene Personen zu Wort. Die Charaktere haben zwar alle Eigenheiten, Probleme und Macken, aber es ist nichts wirklich Skurriles oder Übertriebenes dabei. Aber sind trotzdem vielschichtig und überhaupt nicht langweilig. Das fand ich richtig erfrischend. Nessers Charaktere sind so echt und sehr menschlich. Ich mochte sie alle. Ich fand ihre Gedanken und Verhalten nachvollziehbar und glaubhaft. Etwas, was Nesser wirklich gut kann, ist die Darstellung des Innenlebens seiner Charaktere. Das ist mir schon bei anderen Büchern aufgefallen. Etwas, was Nesser außerdem gut kann, ist Atmosphäre schaffen. Das hat er hier auch wunderbar gemacht.
Auch wenn es keine actiongeladene Handlung gibt, fand ich die Geschichte spannend. Es ist aber eine andere Art von Spannung als in Krimis und Thrillern. Natürlich wollte ich wissen, wie Kallmann nun gestorben ist, aber ich wollte auch wissen, wie es mit den Leben der Charaktere weitergeht.
An einigen Stellen hätte es Nesser kürzer halten und viel schneller zum Punkt kommen können. Aber er bietet einen sehr schönen, facettenreichen Einblick in den Schulalltag einer Gesamtschule und in das soziale, gesellschaftliche Leben einer Kleinstadt in den 90er Jahren.
Die Auflösung des Fall Kallmann bietet Nesser ganz nüchtern, fast nebenbei, so dass man zunächst etwas enttäuscht ist. Aber anderseits ist es irgendwie auch sehr passend, denn die ganze Geschichte ist im Grunde ganz unspektakulär und so ist auch die Auflösung. Aber weder die Geschichte noch die Auflösung ist dadurch weniger intensiv.
Für „Der Fall Kallmann“ gibt es von mir 4 Sterne.