Ein würdiger Nachfolger von Sherlock Holmes?

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ismaela Avatar

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Gleich zu Beginn: dieses Buch hat mich mit einem traurigen Bauchgefühl zurückgelassen, und normalerweise mag ich so etwas gar nicht.

Kurz vorher habe ich "Das Geheimnis des weißen Bandes" gelesen und war begeistert - ein toller Roman ganz im Stil von A. C. Doyle, deshalb war ich mehr als gespannt, als ich "Der Fall Moriarty" in Händen gehalten habe.
Zunächst war ich ein bisschen verwirrt: möchte Horowitz die Ermittler - Holmes und sein "Nachfolger" Jones - abwechselnd Verbrechen aufklären lassen? Das nächste Buch mit den drei Königinnen scheint wieder ein "neuer" Sherlock Holmes Roman zu sein. Nach dem Lesen des aktuellen Bandes aber wohl eher nicht. Warum aber dann überhaupt diese Geschichte? Um zu erklären, ob und warum Moriarty den Kampf mit Holmes bei den Reichenbachfällen doch überlebt hat? Man wird sehen.

"Der Fall Moriarty" ist ein toll geschriebenes Buch, spannend und flüssig zu lesen, mit einem Schluss, der mich wirklich überrascht hat. Horowitz beweist, dass er ein höchst talentierter Schriftsteller ist und in der Lage, um tausend Ecken zu denken und immer neue Wendungen in seine Geschichten einzubauen. Ich finde, er kann sich durchaus mit Doyle vergleichen - er muss ihn ja nicht kopieren. Ausserdem bin ich der Meinung, dass die Personen bei Horowitz - ich meine die "Guten" - immer ein bisschen menschlicher erscheinen, als bei Doyle. Dafür ist "Der Fall M." für meinen Geschmack ein bisschen zu blutrünstig für einen guten alten englischen Krimi; die Guten wie die Bösen scheinen scharenweise vom Leben zum Tod befördert zu werden, und in vielen Fällen passiert das auf recht drastische Weise. Das muss wohl so sein, um den Leser zu verdeutlichen, wie grausam und sadistisch C. Deveraux ist - und das ist er wirklich! So gesehen verläuft diese Geschichte nach dem klassischen Muster: ein zunächst mysteriöser Verbrecher verübt - nun ja - Verbrechen, wird schließlich enttarnt und bekämpft. Die Schauplätze der Verbrechen sind dabei gut in der Krimitradition verhaftet: ein düsteres Anwesen, ein Amtsgebäude, eine Lagerhalle am Hafen, die Katakomben unter den Schlachthöfen von London. Es wird geschossen, vergiftet, aufgeschlitzt und gefoltert, es ist also für jeden etwas dabei.

Was mich an diesem Buch aber etwas gestört hat, waren die Personen und teilweise die Dialoge. Beides wirkte teilweise etwas flach und gestelzt. Vor allem von Chase, dem Pinkerton Detektiv, war ich enttäuscht, weil er so überhaupt keine Eigeninitiative gezeigt hat, sondern mehr oder weniger hinter Jones hergelaufen ist, und ihn allein hat machen lassen. Warum das so ist, erschließt sich dann zwar am Schluss, aber auch Jones war eine unbefriedigende Figur: er wird als ein würdiger Nachfolger von Sherlock Holmes angepriesen und schlägt sich nicht schlecht, aber am Schluss... Dieser hat mich doch sehr berührt und traurig zurückgelassen.

Alles in allem aber ein absolut lesenswertes Buch, das aber an den Vorgänger nicht ganz heranreichen kann. Wahrscheinlich spielt da aber auch die Figur des Sherlock Holmes eine Rolle.