Der preußische Sherlock Holmes ermittelt

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Angesiedelt ist die Handlung im München des Jahres 1894, kurz vor der Jahrhundertwende: Die ältere Generation blickt den Wundern der Technik argwöhnisch entgegen, die feinen Herrschaften flanieren durch Münchens Straßen und im Hofbräuhaus wird das Leben feuchtfröhlich genoßen wie eh und je. In dieses kaleidoskopartige Treiben wird Hauptmann Wilhelm Freiherr von Gryszinski, Reserveoffizier der preußischen Armee, als Sonderermittler des Königlich Bayerischen Gendameriekorps von Berlin nach München versetzt. Man setzt große Hoffnungen auf ihn als aufstrebender Kriminologe, immerhin ist Hans Gross, der Urvater der modernen Kriminologie, sein Mentor und Lehrmeister gewesen.

Ein Mord zwischen Bier und Tellerfleisch
Schließlich gibt es in der Bierhauptstadt endlich einen Mord, den Gryszinski zusammen mit den ihm zur Seite gestellten Gendarmen Voglmaier (dieser hat an jedem Eck der Stadt ein „Spezl“ sitzen, die ihm allesamt im Zuge der Ermittlungen zugute kommen) und Eberle sich ans Werk macht aufzudecken. In den Maximiliansanlagen, dem Fundort der Leiche, bietet sich dem Trio ein seltsamer Anblick: Der Leiche fehlt das Gesicht, ist nur bekleidet mit einem leichten Federmantel und liegt neben einem Abdruck eines Elefantenfusses, dem noch dazu eine Zehe fehlt. Schnell wird klar, dass der mondäne Selfmade-Man und Lebemann Eduard Lemke, seines Zeichens Erbe einer renommierten Bierbrauerei und verspielter Neureicher, in die Sache verwickelt sein muss. Als Gryszinski dann aber von oberster Stelle zusätzlich zu seinen Ermittlungsarbeiten auch noch als Spion engagiert wird, kommt der Fall erst so richtig ins Rollen…

Besonders schön gelungen finde ich die Zeichnung der Charaktere, die einem bereits nach wenigen Seiten ans Herz wachsen: Gryszinski selbst, der in seiner Leidenschaft für Tellerfleisch und all den anderen Münchner Köstlichkeiten der Lösung seines Mordfalls immer mehr auf die Schliche kommt; seine bibliophile Frau Sophie, die ihn allabendlich an ihren Ausflügen in die Welt der Literatur teilhaben lässt; seine beiden Ermittlungsgehilfen, die ab und an an Dick und Doof erinnern lassen und schließlich Lemke, der ein wenig an dem Peter-Pan-Syndrom zu leiden scheint: Die Beschreibungen seiner traumartigen Räumlichkeiten in seiner - wohl aufgrund seiner niedrigen Herkunft - protzigen Villa muten abenteuerlich und fabelhaft an, als LeserIn verliert man sich in diesen Beschreibungen, was wahrlich ein Genuss ist!

Die Kriminologie kommt mir ein wenig zu kurz
Ebenso gefällt mir die Mischung aus historischen Begebenheiten, wie etwa der tatsächlichen Wissenschaft der Kriminologie und dem schriftstellerischen Einfallsreichtum der Autorin. Es ist die Zeit, in der mit Hilfe von Fingerabdrücken Mörder überführt werden; in der jedes noch so kleine Indiz der Schlüssel zu des Mordes Lösung sein könnte. Jedes Kapitel beginnt etwa mit einem Zitat aus Hans Gross „Handbuch für Untersuchungsrichter, Polizeibeamte, Gendarmen usw.“ aus dem Jahre 1893 und steht mehr oder weniger in Bezug zum Inhalt des jeweiligen Abschnitts. Schade finde ich daher, dass die ersten Gehversuche der Kriminologie und diverse Methoden - zumindest für meinen Geschmack - zugunsten der Handlung zu kurz kommen. Aber hier liegt wohl auf der Hund begraben: Entweder konzentriert man sich auf ein fesselndes Voranschreiten der Handlung oder auf die genaue Beschreibung der historischen Errungenschaften der Kriminologie - eines geht wohl nur auf Kosten des anderen.

Flüssiger Schreibstil, pointierter Sarkasmus
Zugegeben, ich hatte zu Beginn ein wenig die Befürchtung, dass sich die Autorin an einer geschraubten und daher mitunter vielleicht mühsam zu lesenden Sprache bedient, aber diese Vermutung hat sich zum Glück nicht bestätigt. Im Gegenteil, der Roman liest sich sehr leicht und flüssig und trieft stellenweise vor Sarkasmus, dass ich an den entsprechenden Stellen wirklich herzlich lachen musste.

Das Ende hat mich dann leider nicht ganz überzeugt, das kam mir zu plötzlich und war auch irgendwie schade, weil man sich für den Täter schon irgendwie etwas Anderes erwartet hat. Da ist also noch Luft nach oben. Da der Roman aber als Auftakt einer Krimireihe promotet wird, darf man auf die weiteren Bände gespannt sein. Ich freue mich jedenfalls, wieder mit Gryszinski und seinen beiden Gendarmen auf Mördersuche gehen zu können.