Ein sympathischer falscher Preuße

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
buchbesprechung Avatar

Von

REZENSION – Mit ihrem im August beim Verlag Harper Collins erschienenen Kriminalroman „Der falsche Preuße“ hat Journalistin Uta Seeburg nicht nur ein lesenswertes Debüt als Schriftstellerin vorgelegt, sondern zugleich einen grandiosen Auftakt zu einer historischen Krimireihe um den 1894 in München als kriminalistischen Sonderermittler eingesetzten preußischen Reserveoffizier Wilhelm Freiherr von Gryszinski.
Der liebende Ehemann seiner Sophie und Vater des kleinen Friedrich ist kein strahlender Held, sondern Berufsanfänger in wissenschaftlicher Kriminalistik, der zwar die neue Kunst der Spurensicherung und des Abnehmens von Fingerabdrücken anzuwenden weiß, dem aber als Ermittler noch manches unverzeihliches Missgeschick geschieht. Erst wenige Jahre zuvor hatte er in Wien beim legendären Strafrechtler Hans Groß (1847-1915) seine Ausbildung erhalten und war von diesem dem Münchner Polizeidirektor Ludwig von Welser (1841-1931) als besonders befähigt empfohlen worden.
Bei der Aufklärung seines ersten Mordfalles muss sich Gryszinski nun bewähren und sein kriminalistisches Können beweisen. Unterstützt wird er dabei von Wachtmeister Vogelmaier, genannt Spatzl, der bei seinen Ermittlungen sein in vielen Jahren aufgebautes Netzwerk aus Wirtshaus-Spezln zu nutzen weiß, und dessen Kollegen, dem alles Preußische verehrenden Schwaben Eberle. Sich immer an seinen Wiener Lehrmeister Hans Groß erinnernd, dessen Lehrsätze aus seinem „Handbuch für Untersuchungsrichter, Polizeibeamte, Gendarmen usw.“ (1893) jedem Kapitel als Zitat vorangestellt sind, versucht Gryszinski sein Bestes.
Eines Nachts war die kaum bekleidete, nur von einem mit Federn besetzten Umhang umhüllte Leiche des Bierbeschauers Sperber in einer Grünanlage abgelegt worden. Das Gesicht war mit einer Schrotflinte unkenntlich geschossen. Nach Identifizierung des Toten, der sich einiger Eroberungen in der Münchner Damenwelt rühmen durfte, rücken schnell der in der Gosse Berlin-Moabits aufgewachsene, doch auf unerklärliche Weise zu unermesslichem Reichtum gekommene Preuße Eduard Lemke und dessen Münchner Ehefrau Brauerei-Erbin Betti in den Fokus der Ermittlungen. Gryszinski tut sich anfangs recht schwer bei der Aufklärung des dubiosen Falles. Noch komplizierter wird es für ihn, als er vom preußischen Gesandten in München für sein Vaterland als Spion verpflichtet wird. Nun steht er vor der Wahl, seine Ehre als bayerischer Polizeibeamter zu verletzen oder aber als preußischer Reserveoffizier. Der Zufall will es, dass Gryszinski am Ende doch beiden Auftraggebern gleichermaßen gerecht werden und dadurch seine Ehre retten kann.
Mit Geschick und einer gehörigen Portion Humor und Ironie verbindet die selbst aus Berlin stammende und seit Jahren in München lebende Autorin so unterschiedliche Aspekte wie bayerische Lebensart und Bierseligkeit mit angeblich preußischen Tugenden wie Disziplin und Enthaltsamkeit sowie Anfänge professioneller Kriminalistik mit gesellschaftlichem Leben zur Jahrhundertwende und reiht dies alles am Handlungsfaden des durchaus spannenden, auf lange Zeit scheinbar unlösbaren Kriminalfalles auf.
Durch feine Selbstironie wirkt vor allem der unerfahrene, manchmal noch tolpatschig wirkende Ermittler besonders sympathisch, der als „falscher Preuße“ zudem in ständigem Wettstreit zwischen preußischen Tugenden und seiner Vorliebe für Schweinsbraten, Tellerfleisch mit Kren und bayerischem Bier steht.