Überzeugende historischer Krimi zu Beginn der Kriminalistik

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München 1894: Mit dem Preußen Wilhelm Freiherr von Gryszinski ist die neue Wissenschaft der Kriminalistik in der bajuwarischen Haupstadt eingezogen. Was dieser Londoner Romandetektiv eines britischen Schriftstellers kann, wollen die Münchener auch können, und haben Gryszinski deswegen als Fachmann der Kriminalistik aus Berlin für sich abgeworben. Und endlich kann der Sonderermittler der Königlich Bayerischen Polizeidirektion seinen geheimnisvollen Tatortkoffer einsetzen: An der Isar wurde eine Leiche gefunden, ein großer Mann mit Flügeln und ohne Gesicht. Daneben der Abdruck eines Elefantenfußes. Eine verzwickte Aufgabe, die umso mysteriöser wird, als sich die Preußen bei Gryszinski melden und ihn für ihre eigenen Zwecke einspannen. Denn der Hauptverdächtige steht bei den Preußen im starken Verdacht, schwerwiegenden Landesverrat begangen zu haben. Aber wäre doch gelacht, wenn Gryszinski nicht für die Bayern und die Preußen zugleich ermitteln könnte. Raffiniert genug ist er - und gerät schon bald in tödliche Gefahr.

„… ich bitte jeden Leser, daß er keine Wahrnehmung, die er gemacht hat, für unwesentlich halte.“ (Hans Groß: Handbuch für Untersuchungsrichter, Polizeibeamte, Gendarmen usw., 1. Auflage, 1893)

Dieser Roman hat mich wirklich positiv überrascht. Die Autorin lässt den Leser in eine Welt eintauchen, in welcher die Kriminalistik ihre ersten Schritte macht. Wilhelm Freiherr von Gryszinski ist mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn von Berlin nach München gezogen und somit in eine für ihn ganz andere Welt. Durch seine Vergleiche erfährt man die gesellschaftlichen Unterschiede der Preußen und Bayern in der damaligen Zeit, ebenso ist der Roman geschickt durchsetzt mit kleinen Details, welche mich beim Lesen die Atmosphäre miterleben ließen. Ob es nun die Menschen der unterschiedlichen Klassen, die Ess- und Trinkgewohnheiten, die Fahrzeuge oder andere historische Einzelheiten waren, alles bereicherte den Roman auf angenehme Weise, ohne an der Spannungskurve zu kratzen.
Sowohl der Ermittler selbst mit seiner Familie wie auch der Kriminalfall als solcher, der sich genaugenommen durch den Preußischen Auftrag in zwei Verbrechen aufteilt, konnten mich überzeugen. Gryszinski ist sympathisch, hat einen scharfen Verstand und kann sich flexibel den Gegebenheiten anpassen. Faszinierend sind auch die Zitate zu Beginn eines jeden Kapitels aus dem „Handbuch für Untersuchungsrichter, Polizeibeamte, Gendarmen usw.“ von Hand Groß, dem österreischischen Begründer der Kriminalistik und Gryszinskis Mentor im Roman. Zudem bekommt man im Laufe des Romans einige, zur damaligen Zeit moderne Untersuchungsmethoden mit. Und man erfährt, warum es wichtig ist, eine Bonbondose im Tatortkoffer zu haben.
Ein handwerklich sehr gut gemachter historischer Krimi, welcher sowohl vom Kriminalfall selbst wie auch mit seinem besonderen Flair der damaligen Zeit vollauf überzeugt.