Schlechtes Wetter im Regenwald

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luisa_loves_literature Avatar

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Wie die Figuren in "Der flüsternde Abgrund" wurde auch ich auf unheimliche Weise vom australischen Regenwald angezogen, der in diesem Roman mit so viel Bedrohlichkeit und mysteriöser Aura ausgestattet wird, dass man ihn fast als lebendige Person wahrzunehmen versucht ist. Victoria Lando schreibt dem Regenwald und den an ihn angrenzenden Felsen eine flüsternde Stimme zu, die unschuldige Kinder, aber manchmal auch Erwachsene, ins Verderben zieht. Diese Idee, gegen die sich die Menschen in dem kleinen Örtchen Granite Creek mit kleinen Glöckchen, die das Flüstern übertönen sollen, zu wehren versuchen, ist unheimlich und leicht übersinnlich, allerdings - und das habe ich doch als leichtes Manko gewertet - wird sie nie wirklich zufriedenstellend aufgelöst. Darüber hinaus bietet der der Roman leider auch ein paar weitere lose Enden und Logiklöcher, die mitunter so angerissen werden, dass man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass auch die Autorin sich nicht ganz sicher gewesen ist, wie sie mit der betreffenden Passage oder dem jeweiligen Geschehen umgehen und dieses einordnen soll.

So wird der Thriller zwar zu einem durchaus spannenden, sehr lesbaren Trip in die Vergangenheit des Protagonisten Callum Haffenden, bei der sich nach und nach die düstere Seite des Kleinstadtlebens im regenumtosten und windumbrausten Norden Australiens offenbart, aber so richtig überzeugen konnte mich die Handlungsführung nicht. Zum einen sind so einige Twists schon vorher erkennbar und überraschen dann nicht mehr ausreichend, zum anderen scheinen einige Entwicklungen doch etwas überkonstruiert und nicht recht nachvollziehbar. Die Tatsache, dass der Journalist Haffenden sich amtsanmaßend in die Polizeiarbeit einklinkt und von seinem Polizeifreund Eddy auch so umfänglich Zugang zu den Ermittlungen erhält, hat mich schon etwas stutzen lassen. Manche Passagen, insbesondere die Rückblenden, sind etwas vage und unpräzise geschildert, sodass man immer wieder das Gefühl hat, man hätte eventuell etwas überlesen. Hinzu kommen außerdem so einige Wiederholungen von bereits benannten Fakten oder immer wieder ähnlichen Gefühlslagen, die dazu führen, dass man als Leser doch das eine oder andere Déjà-vu hat. So schmerzt Callum Haffenden in einem fort das Bein - das ist natürlich logisch und bedauerlich, aber nach der zwanzigsten Erwähnung auch keine weiterführende Information mehr. Das literarisch eigentlich sehr passende und schöne Mittel Wetterbeschreibungen zu nutzen, um den Text dramatisch aufzuladen, ihm eine düstere Atmosphäre zu verleihen und die Emotionen der Figuren zu reflektieren, wurde z.B. meines Erachtens von der Autorin überstrapaziert. In fast jedem Kapitel wird darauf hingewiesen, dass der Wind kommt und der Regen kommt, dass es nass, schwül und stickig ist - das ist definitiv zu viel des Guten.

Insgesamt ist der Roman dennoch ein sehr flüssig zu lesender, spannender Thriller, der mit viel Atmosphäre aufwartet und einen tief in die Dorfgemeinschaft eintauchen lässt, sich aber handlungstechnisch zu leicht aus der Affäre zieht. Die Mystery-Elemente sind schön gesetzt und im Ansatz gut gedacht, allerdings können sie letztlich nicht ganz überzeugen. Dennoch eignet sich "Der flüsternde Abgrund" als Lektüre für Australien-Fans und Leser, die Geschichten bevorzugen, in denen dunkle Vergangenheiten eine maßgebliche Rolle spielen.