Die Swinging Sixties

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München zu Beginn der 60er Jahre: Clara ist glücklich, hat sie doch einen der heißbegehrten Plätze für eine Fotografenausbildung ergattert. Sie wird in ihren Ambitionen von den Eltern unterstützt, ganz anders als ihre Freundin Sanni, die Schauspielerin werden will. Deren Eltern wissen das zu verhindern. Als ihr das Leben in ihre Pläne hineingrätscht, bricht Clara zusammen mit Sanni auf nach Hamburg - in die vermeintliche Freiheit. Dort möchte sie ihrem Traum, Fotojournalistin zu werden, näher kommen.

In lebendigem, einfühlsamem und leicht lesbarem Schreibstil erzählt Theresia Graw Claras Geschichte. Man fühlt sich direkt in die sechziger Jahre zurückversetzt. Clara ist zu Anfang ein verträumter Backfisch. Sie denkt, dass sie ihre hoch gesteckten Ziele im Vorbeigehen erreichen wird und nutzt das große Verständnis ihrer Eltern schon sehr aus. Da steht Sanni schon mehr im Leben, sie denkt pragmatisch und zielgerichtet. Von Freddy habe ich, ohne spoilern zu wollen, von Anfang an nichts gehalten. Er ist eine ziemlich selbstverliebte Luftnummer und für mich der erste Antagonist in der Geschichte. Aber auch er wird, wie alle Personen, von der Autorin sehr gut charakterisiert. Ich hatte beim Lesen das Gefühl, dass ich die Beteiligten gut kenne, obwohl ich die beiden Vorgängerbände nicht gelesen habe.

Zunächst ist die Geschichte "nur" die Lebensgeschichte einer jungen Frau in einer Zeit des Aufbruchs mit ein paar zeitgeschichtlichen Einsprengseln wie dem Kennedy-Besuch oder der beginnenden Karriere der Beatles. (Ob es zu dieser Zeit realistisch war, dass eine 18-jährige ohne Ausbildung einfach so einen Job in einer fremden Stadt annehmen kann, bezweifle ich. Da lasse ich mal die dichterische Freiheit gelten.) Später wird ein sehr berührender Bericht über die schrecklichen Geschehnisse während des "1000-jährigen" Reichs daraus, die beim Frankfurter Prozess aufgerollt werden. Wir dürfen Clara dort auf die Pressetribüne begleiten und von dort dem Prozess folgen, über den die Autorin akribisch recherchiert haben muss. Dieser Abschnitt wertet das sonst zwar wegen der zeitgeschichtlichen Bezüge interessante, aber doch etwas seichte Buch stark auf. Deshalb vergebe ich gerne fünf Sterne und empfehle es uneingeschränkt weiter.