# me too in 1953

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Von heute aus gesehen, ist das, was Jana Revedin auf den ersten Seiten ihres Buches beschreibt, ganz und gar unfasslich. Ein Ehemann vergewaltigt seine Frau. Aber nicht einfach mal „nur so“ sondern planmäßig, um seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen. Dazu lädt er auf einem Kongress ein befreundetes Paar ein, betäubt seine eigene Ehefrau, und es gibt einen Dreier plus der willenlosen Gattin, an der die anderen sich vergehen.

Dummerweise wird das Opfer am folgenden Morgen zu früh wach und begreift, was geschehen ist. Als Renina Dietrich, so ist ihr Name, ihren Mann Fred damit konfrontiert, reagiert der mit Herablassung und verbaler Gewalt. In Zeiten von # me too, Gleichberechtigung und scharfem Umgang mit jeglicher Art von sexueller Gewalt, wissen wir alle, was als Nächstes passiert. Vor 70 Jahren gab es für das Opfer nur zwei Möglichkeiten: in den See gehen oder den Mann um die Scheidung bitten. So die Rechtslage. Um dann „schuldig“ geschieden zu werden. Was für eine Schmach! Was für eine Rufschädigung. Renina, denk‘ an den Verlag, denk‘ an die LADY. So warnt sie sinngemäß ein guter Freund.

Konstanz am Bodensee, 1. Mai 1953. Im Inselhotel findet ein großer wissenschaftlicher Kongress statt, zu dem Fred Dietrich mit seiner Frau Renina angereist ist. Sie leben zwar ganz in der Nähe, sind aber wegen der informellen Kontakte mit den Kollegen aus der ganzen Welt für diese Tage in das Hotel gezogen. Der Höhepunkt des Abends soll das Konzert eines japanischen Wunderkindes sein, es gibt Mozart, was sonst.

Der größte Teil der Handlung spielt an diesem Feiertag, doch jegliche James-Joyce-Parallele ist strikt verboten. Renina ist 24 Jahre jung, war die jüngste Assistentin des berühmten Philosophen Martin Heidegger und somit die Nachfolgerin von Hannah Arendt. Nun ist sie auf dem Weg, ihre erste eigene Zeitschrift, ein Blatt für die neue Frau, die LADY im Verlag ihres Vaters herauszugeben. Was soll das für eine Zeitschrift sein? „ … sie wäre ein Fenster, durch das man eine schöne, aber auch gefährliche, eine tragische, aber auch hoffnungsvolle, kurzum, eine ergreifende, reale Welt betrachten könnte. Oder sogar eine Tür, durch die viele Frauen gehen könnten, in eine Wirklichkeit, die auf sie wartete …“. Der Titel des Leitartikels, den Renina am Nachmittag geschrieben hat, lautet bedeutungsvoll: „Wer lehrt uns Nein-Sagen?“

Was könnte also aus dieser Konstellation für ein spannendes, Erkenntnis förderndes Stück Literatur werden. Wird’s aber nicht. Der Text springt als sprichwörtliche Tiger los, um sich sturzflugartig zum Bettvorleger zu wandeln. Ein einziges Mal wird Martin Heidegger paraphrasiert: „Faseln sie nicht herum, kommen sie zum Punkt. Ein Satz, ein Gedanke.“ Schade. Das hätte dem Plot gut getan. So verplaudert die Autorin die Brisanz des Stoffes unter anderem durch einen elend langen Exkurs in die Reiterei, in die Songtexte von Ella Fitzgerald, Studien der Konstanzer Gesellschaft und ein künstlich konstruiertes Geflecht (offensichtlich von keinem Lektor bemängelt) von Name Droppings, in dem Erica Taut, Christian Dior und Konrad Adenauer sich quasi die Klinke in die Hand geben. Und eine Schuss Sartre darf natürlich auch nicht fehlen. Autofiktion kann eine gute Methode sein, um Literatur zu erzeugen. Muss aber nicht.