Wahnsinn!

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
mike nelson Avatar

Von

Matt Haig kennt sich aus mit der Psyche der Menschen! Und dies auch, wenn es um die tiefen, dunklen Winkel der Seele geht. Selten hat mir jemand mit einem Roman - der Geschichte des fürsorglich-besorgten Vaters Terence Cave, der nach einigen familiären Schicksalsschlägen seine 15-jährige Tochter Bryony vor den Gefahren der Welt bewahren will - ein Phänomen wie die 'wahnhafte Besessenheit' derart nahe gebracht, derart einfühlbar beschrieben. Die Geschichte ist eine Tragödie (in dem Bemühen um das Gute und Richtige das genaue Gegenteil bewirken) rund um die Themen Verlust, Schuld und Angst. Jeder Verlust ist auch eine Form der Gewalt, die einem das Leben antut; nur leider kann man es dem Leben nie zurückzahlen, was es einem angetan hat, man kann sich nicht am Leben rächen! Und so ist man - sofern die Bearbeitung des Verlustes nicht gelungen ist - in einer Ambivalenz zwischen Depression und Aggression gefangen. Und bei dem fürsorglichen Mr. Cave neigt es sich zur Aggression hin. In einem unvergleichlich subtilen Spannungsbogen erzählt Matt Haig von der schuldgetriebenen Fürsorglichkeit des Vaters Terence Cave, der versucht, alles beim Alten zu belassen, das Vergangene zu reparieren - dafür steht als deutliches Symbol der Job eines Antquitätenhändlers. Tochter Bryony aber ist dabei, zunehmend ihr eigenes Leben zu entdecken, wozu auch das Interesse für das andere Geschlecht zählt. Je mehr Terence versucht, seine Tochter zu beschützen, zu kontrollieren, desto mehr entzieht sie sich ihm. Terence ist irgendwann nicht mehr er selbst - es kommt zu zwischenzeitlichen Depersonalisationserlebnissen. Die unverarbeiteten traumatischen Verluste (Suizid der Mutter, Tod der Ehefrau bei einem Einbruch, tödlicher Unfall seines Sohnes, des Zwillingsbruders von Bryony) sind die Basis für eine zunehmende Angst und Panik, ausgelöst durch den gefühlten Verlust an Kontrolle über seine Tochter; und schlägt schließlich um in eine der Angstabwehr dienende Gewalt. "Das ist unsere Tragödie, stimmts? Wir alle wollen die Welt nach unseren Vorstellungen formen. Wir wollen, dass alles so gesehen wird, wie wir es sehen. Wir wünschen uns die Kontrolle darüber, was oder wer geliebt wird, und haben doch nicht einmal die Kontrolle über unseren eigenen Verstand." Die Geschichte hat die Form eines Berichts, in dem Terence Cave seiner Tochter Bryony seine Sicht der Ereignisse erzählt, versucht, sein Handeln verstehbar zu machen - bis zum bitteren Ende. Fantastischer Roman. Wahnsinn! Nur: Wer auch immer das Buchcover gestaltet haben mag, hat den Roman entweder nicht gelesen, oder nicht verstanden, so lieblich wie es gestaltet ist - in der Geschichte geht es nämlich um weit mehr als um einen 'goldenen Käfig' der zu einem Gefängnis wird.