Das Marschmädchen wird erwachsen

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
jenvo82 Avatar

Von

„Kya genügte es, Teil dieser natürlichen Sequenz zu sein, unwandelbar wie die Gezeiten. Sie war mit ihrem Planeten und seinem Leben auf eine Weise verbunden, wie das nur wenige Menschen sind. Fest in der Erde verwurzelt. Kind dieser Mutter.“

Inhalt

Kya Clark lebt von klein auf im Marschland ganz nah an der Natur, mitten zwischen wilden Vögeln, bunten Fischen und dem wechselnden Auf und Ab des Meeres. So sehr sie auch die Natur liebt und Trost in ihrer Beobachtung findet, so schmerzlich vermisst sie auch ihre Familie. Die Mutter ist einfach fortgegangen, die fast erwachsenen Geschwister taten ihr es nach und der Vater ertränkt seinen Kummer in Alkohol, nur um wenig später seine letzte verbliebene Tochter auch noch zu verlassen. Mit sieben Jahren ist Kya Alleinverdiener und Hausfrau gleichermaßen und versteckt sich erfolgreich vor den Behörden. Als Jugendliche entdeckt sie dann die Liebe zu einem Mann, der sie jedoch wieder verlässt, ihr zweiter Freund Chase verspricht ihr hingegen das Blaue vom Himmel herunter und heiratet heimlich eine andere. Kyas Vertrauen in die Beständigkeit menschlicher Beziehungen ist schwer erschüttert und sie zieht sich noch weiter in ihr Schneckenhaus zurück. Erst als Chase Opfer eines Verbrechens wird und alle verzweifelt nach einem Schuldigen suchen, rückt das absonderliche Marschmädchen, die eine Liaison mit dem jungen Mann unterhielt ins Visier der Gerichtsbarkeit und sie muss sich in einem Gerichtsverfahren verantworten …

Meinung

Auf diesen Debütroman der amerikanischen Autorin Delia Owens bin ich schon kurz nach seinem Erscheinen aufmerksam geworden und er stand ziemlich weit oben auf meiner Wunschliste, nachdem ich so viele begeisterte Leserstimmen dazu wahrgenommen habe.

Die New York Times betitelt dieses Buch als „Ein schmerzlich schönes Debüt, das eine Kriminalgeschichte mit der Erzählung eines Erwachsenwerdens verbindet und die Natur feiert.“ Ganz ähnlich habe ich es auch empfunden, denn die Autorin vermag es den Leser in eine stimmungsvolle Umgebung hineinzuziehen, sie lässt das Leben am Rand der Gesellschaft in mitten der Natur äußerst reizvoll und wild erscheinen. Ihre Protagonistin Kya ist eine starke, patente Persönlichkeit, die trotz zahlreicher Tiefschläge und Enttäuschungen nicht den Lebensmut verliert und sich immer irgendwie durchschlägt.

Charakteristisch für diesen Roman sind seine verschiedenen Entwicklungsstufen: Zunächst eher ein Familienroman, der sich mit Kyas einsamer Kindheit und dem Zerbrechen ihrer Familie auseinandersetzt. Etwas später entwickelt es sich zu einer Liebesgeschichte zwischen Kya und Tate, die aber unerfüllt bleibt und sich wandelt in ein Intermezzo zwischen Kya und Chase. Im letzten Teil schließlich kommt es zum Gerichtsverfahren, bei dem sich Kya als Hauptverdächtige in einem Mordfall verantworten muss.

Und ich glaube dieser Wechsel zwischen den jeweiligen Hauptthemen des Buches hat mich etwas gestört, so dass ich die wunderbar stimmungsvollen Bilder nicht immer gänzlich würdigen konnte. Zunächst hat mich dieser Roman direkt angesprochen, weil mir die Familiensituation des kleinen Mädchens sehr nahe ging, auch als Liebesgeschichte funktioniert das Buch noch ganz gut, aber im dritten Teil dann der Stilbruch, der für mich zunehmend überflüssig wurde. Mit einer klareren Struktur hätte dieser Roman ein Lieblingsbuch werden können, so war es mir im Handlungsverlauf doch zu holprig. Hinzu kommt das Bedienen von zahlreichen Klischees, die immer nur knapp am Kitsch vorbeischrammen, auch das gibt einen Minuspunkt in der Bewertung.

Fazit

Ich vergebe 3,5 Lesesterne (aufgerundet 4) für einen atmosphärischen Roman über die Einsamkeit, das Erwachsenwerden, die Enttäuschungen und die Entwicklung einer starken Persönlichkeit, die viele Prüfungen bestanden hat. Ein klassischer Unterhaltungsroman mit einer ansprechenden Geschichte, die den Leser mitnimmt auf eine Reise ins Marschland. Sicherlich ein fast ideales Drehbuch für eine Verfilmung, die ich mir hier ausgesprochen gut vorstellen könnte – allein wegen der ansprechenden Bilder und dem filmreifen Handlungsverlauf. Inhaltlich hätte ich mir eine Fokussierung auf eins der drei Hauptthemen gewünscht (Familie, Liebe, oder Gerichtsverhandlung) und etwas weniger erzwungene Sentimentalität. Lesenswert ist die Geschichte dennoch, nur eben nicht ganz so gut, wie meine Erwartungshaltung an sie.