Eine fesselnde Geschichte über eine "Sumpfpack"-Zugehörige

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laberlili Avatar

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Welch ein Debüt… rein von der atmosphärisch eindrücklichen, schon fast erdrückenden, Gangart der Erzählung her erinnerte mich „Der Gesang der Flusskrebse“ sehr an „Alligatoren“ von Deb Spera, das eines meiner absoluten Lese-Highlights der letzten paar Jahre war. Ich habe den „Gesang der Flusskrebse“ nun in einem Zug gelesen, also eigentlich im Bett; mir war nicht wohl und ich habe letztlich einen halben Krankentag damit verbracht, diesen Roman zu lesen. Am frühen Nachmittag begonnen, hatte ich den rund 460 Seiten starken Roman am Abend durchgeschmökert.
Ich habe die Lektüre sehr genossen, auch wenn ich angesichts des Klappentextes letztlich eine etwas andere Handlung erwartet hätte, denn der auf die beiden jungen Männer, die in Kyas Leben treten, enthaltene Hinweis klingt in meinen Ohren eher nach gegeneinander um Kyas Gunst buhlende Rivalen – tatsächlich treten die besagten Männer aber eher zeitlich versetzt in Kyas Leben; insgesamt geht es hier auch gar nicht um das sich entspinnende Liebesleben einer Außenseiterin.

„Der Gesang der Flusskrebse“ beschreibt Kyas Leben, als jüngstes Kind von verachtetem „Sumpfpack“ in der einem kleinen Küstenstädtchen vorgelagerten morastigen Marschlandschaft aufgewachsen hat sie von Geburt an kein leichtes Los gehabt. Als die Pubertät einsetzte. lebte sie bereits allein in der abgewrackten Hütte ihrer armen Familie, deren Mitglieder sich eins nach dem anderen aus dem Staub gemacht hatten, woraufhin Kya sich ein weiterhin ärmliches Einsiedlerdasein aufbaute, geschasst von der „alltäglichen“ Gesellschaft der weiteren Umgebung blieb und sich selbst vollends mit der lokalen Flora und Fauna vertraut machte.
Eigentlich führt sie ein sehr elendes Leben, als zurückgelassenes Kind ist ihr Großwerden eher mit einem Überlebenskampf gleichzusetzen, der ihr vor Allem auch nur deswegen gelingt, weil sich ein schwarzer Ladenbesitzer auf Tauschhandeleien mit ihr einlässt – Kyas Kindheit fällt in die 1950er: dass sie als weißes „Marschmädchen“ auf die Unterstützung der schwarzen Mitbürger angewiesen ist, trägt nur noch mehr zu der Skepsis, teilweise sogar schon dem Ekel, bei, mit der die weißen Kleinstädter ihr gegenüber auftreten. Dennoch ist das absolut Faszinierende an diesem Buch, dass man Kya im Grunde genommen als Leser nie als „armes, kleines Mädchen“ empfindet und dass ihre Lebenssituation schon fast als idyllisch erlebt werden kann, vor allem, wenn man dann eben die „anständigen Leute aus der Kleinstadt“ beiläufig erlebt, die im Vergleich eher restriktive, sehr genormte Leben führen.

Dass Kya letztlich unter Mordverdacht gerät, verrät nicht nur der Klappentext, sondern dieser Fakt wird bereits am Romananfang erwähnt; „Der Gesang der Flusskrebse“ ist leicht achronologisch erzählt, heißt: Weithin verläuft die Handlung zwar chronologisch, aber teils wird dann später doch bereits in die Mordermittlungsphase gewechselt, um gleich darauf zu dem zurückzukehren, was Kyas Leben einige Jahre zuvor ausgemacht hat. Im Allgemeinen ist das Alles aber doch sehr übersichtlich dargestellt; ich habe mich zumindest nicht innert dieser Zeiten(wechsel) verirren können. Dass Kya, obschon im Prinzip alles gegen deren Täterschaft spricht, dennoch von Anfang an vorverurteilt wird, entspricht nahezu einer modernen Hexenjagd; abstruse Szenarien werden heraufbeschworen, wie Kya den Mord trotz aller Widersprüchlichkeiten doch begehen habe können, und dabei als absolute Selbstverständlichkeiten beschrieben. Als Leser weiß man übrigens kaum einmal mehr als die Mordermittler; obschon man in diesem Roman Kya begleitet, sind die Mordumstände letztlich einfach eher etwas Hingegebenes, vorausgesetztes, wie auch immer… man kann also nicht ausschließen, on Kya nicht doch in Chases Tod verwickelt ist, aber wie gesagt: Die Argumente der Anklage wirken derart an den Haaren herbeigezogen, dass man denkt: „Okay, selbst wenn sie es war, könnt ihr es nicht einwandfrei nachweisen. Wenn diese eure Argumente für eine Verurteilung ausreichend sind, könnt ihr einfach jeden für alles hinter Gitter bringen.“ Da wurde es dann auch so richtig spannend…
… und ganz am Schluss wartet der Roman noch mit einem kleinen Überraschungsmoment auf, der den „Gesang der Flusskrebse“ erst so richtig rundmacht.

In jedem Fall eine absolut lesenswerte Lektüre, von der ich mir selbst sogar vorstellen könnte, dieses Buch irgendwann nochmals zu lesen, obschon ich angesichts viel zu vieler interessanter Bücher für eine durchschnittliche Lebenslänge eher selten zum „Re-Readen“ neige.