Hervorragend

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throki Avatar

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Wo soll ich anfangen bei meiner Rezension? Soll ich schwärmen von dem interessanten Plot? Oder eher von dem spannenden Kriminalfall? Oder vom warmen, sensiblen Stil der Autorin?

Um dieses Buch bin ich einige Zeit herumgeschlichen, dann bekam ich es von einer Mitleserin und ich konnte mich nicht mehr davor drücken. Eigentlich bin ich bei so hoch gelobten Bestsellern vorsichtig, oft wurde ich enttäuscht, aber diese Geschichte hat mich aufgewühlt und tief berührt zurückgelassen.

Es geht um das Mädchen Kya, das allein in den Marschen von North Carolina aufwächst, nachdem ihre Mutter und ihre älteren Geschwister sie dort mit dem ständig besoffenen Vater zurückgelassen haben. Mit sechs Jahren muss sie lernen für sich selbst zu sorgen und das ist natürlich sehr schwierig. Wenn sie nicht von einigen mitleidigen Menschen aus dem nächsten Dorf unterstützt worden wäre, dann hätte sie sicher ihr Leben verloren. Als Tate in ihr Leben tritt, lernt sie von ihm lesen und schreiben, denn eine Schule hat sie nur einen Tag lang besucht. Gemeinsam erkunden sie die Marsch, ihre Pflanzen und Tiere und sie nähern sich aneinander an. Doch dann kommt die große Enttäuschung.

Parallel dazu wird die Geschichte eines Todesfalles berichtet. Chase Andrews ist der Weiberheld des Dorfes und er macht sich auch an Kya heran. Er interessiert sich allerdings nicht für den Menschen Kya, sondern nur für den Sex mit dem exotischen "Marschmädchen". Eines Tages liegt er tot unter dem Feuerwehrturm und schnell ergibt sich der Verdacht, dass Kya ihn hinuntergestoßen haben könnte. Sie wird festgenommen und vor Gericht gestellt.

Die Mischung aus "Coming of Age" und Kriminalfall habe ich so noch nie gelesen. Dazu kommen die wunderbaren Naturschilderungen, die plastische Bilder vor meinen Augen entstehen ließen. Die Natur in aller Wildheit und Grausamkeit, aber auch Schönheit, spielt eine wichtige Rolle in diesem Buch.

Die Hauptrolle in dem Buch spielt allerdings die Einsamkeit. "Frei, aber einsam", das ist der Grundgedanke und er erinnert mich an ein Musikstück von Johannes Brahms, der ebenfalls mit diesen Worten (FAS) überschrieben ist. Von Kind an kann Kya nicht das nötige Urvertrauen entwickeln, das für den Umgang mit anderen Menschen notwendig ist. Immer wieder überrascht es sie, wenn Menschen es gut mit ihr meinen und ihr helfen wollen. Dann reagiert sie schroff und ablehnend oder sie zieht sich schnell zurück. Erst die Beziehung zu Tate lehrt sie, dass es auch positive Erfahrungen geben kann. Und genau da wird sie wieder einmal enttäuscht, das ist umso bitterer. Das alles ist wunderbar einfühlsam beschrieben.

Besonders hat mich auch die Schilderung der Gerichtsverhandlung beeindruckt. Das amerikanische Recht mit seinen Geschworenen und der Möglichkeit zur Verhängung der Todesstrafe ist mir sehr fremd, es wird eine große Show abgezogen und Staatsanwalt und Verteidiger spielen ihre Rollen vor dem Publikum. Die Angeklagte steht dabei sehr im Hintergrund, sie kann dem Schauspiel nur schweigend zusehen. Das geht unter die Haut.

Insgesamt war das Buch eines der besten, die ich in diesem Jahr bisher gelesen habe und es bekommt die volle Punktzahl. Besonders der überraschende Schluss hat noch einmal einen Höhepunkt gesetzt.