In der Fremde eine Heimat finden

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
buecherfan.wit Avatar

Von

Kim Thúys zweiter Roman “Der Geschmack der Sehnsucht” knüpft an den Erfolg ihres Debütromans “Der Klang der Fremde" aus dem Jahr 2010 an, der eine begeisterte Leserschaft fand.

Eine ledige junge Mutter setzt ihr Kind aus. Eine Nonne findet den Säugling und gibt ihn später an eine Lehrerin weiter, die ihre geliebte Mama wird. Als junge Frau geht Mán auf Betreiben der Mutter eine arrangierte Ehe mit einem wesentlich älteren Vietnamesen ein, der zwanzig Jahre zuvor mit den Boat People Vietnam verlassen hatte und nach Montreal gegangen war. Dort betreibt er eine Suppenküche, in der die junge Mán mitarbeitet. Irgendwann besinnt sie sich auf die überlieferten Rezepte ihrer Mutter und alles, was sie über Zutaten und Gewürze gelernt hat. Aus der einfachen Suppenküche wird ein beliebtes Restaurant, das den vietnamesischen Einwanderern ein Stück Heimat zurückgibt. Mán findet in Julie eine enge Freundin, die sie in jeder Hinsicht unterstützt und ihr Möglichkeiten für ein selbstbestimmtes Leben aufzeigt. Mán veröffentlicht ein Kochbuch, gibt Kochkurse und wird nach Paris zu Lesungen und Kochdemonstrationen eingeladen. Dort lernt sie den verheirateten Franzosen Luc kennen, die Liebe ihres Lebens.

Liebe und Leidenschaft sind völlig neue Erfahrungen in Máns Leben, die zwanzig Jahre Ehe in Form einer friedlichen Koexistenz erlebt hat, aber keine Nähe oder Zärtlichkeit. Sowieso ist ihr als Vietnamesin die Zurschaustellung von Gefühlen fremd. Durch die Begegnung mit Luc wird sie auch den Menschen in ihrem Umfeld gegenüber offener und geht anders mit ihren beiden Kindern um.

Das kleine, wunderschön aufgemachte Büchlein beeindruckt den Leser durch die Vermittlung von vietnamesischer Kultur, Sprache und Mentalität. Am Rand der Seiten sind viele vietnamesische Begriffe aufgeführt und übersetzt. Die Sprache ist oft poetisch, noch verstärkt durch eingefügte Gedichte. Die Erzählung wirkt sehr authentisch und trägt mit Sicherheit autobiografische Züge, auch wenn die familiäre Situation der Autorin natürlich eine ganz andere war. Die entscheidende Gemeinsamkeit liegt im Verlassen der Heimat und der Übersiedlung nach Montreal sowie in dem grundsätzlichen Problem, in einem Land mit einer anderen Sprache und Kultur die Vergangenheit hinter sich zu lassen und ein neues Leben zu beginnen. Interessant finde ich auch, dass die Autorin die dunklen Seiten der vietnamesischen Geschichte, speziell des verheerenden Bürgerkriegs und seiner Folgen nicht auslässt. Mir hat Kim Thúys Roman gut gefallen