Liebenswürdig, doch altbacken

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wandablue Avatar

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„Der Glühwürmchensommer“ müsste von seiner Machart und Thematik her, ein Kinderbuch sein, doch ich kann mir schlecht vorstellen, dass Kinder fasziniert sein werden von diesem Sommer am Meer und das, obwohl Victor Beauregard, der neunjährige Erzähler mit Justine die erste unschuldige Liebe erlebt und er einem Familiengeheimnis auf die Spur kommt. Eigentlich typische Zutaten, die funktionieren müssten.

Der Autor Gilles Paris schreibt ganz im Stil des kleinen Nick von René Goscinny, das macht er liebevoll, benutzt die Stilmittel der Personalisierung von Dingen und setzt durch den sensiblen Victor eine naive Weltsicht. Was aber bei René Goscinny leicht und überaus witzig ist, wird bei Gilles Paris überbordend aufgebauscht, er macht einfach zu reichlich Gebrauch von immer demselben Stilmittel, schreibt auch zu gewollt kindlich, und so erschöpft sich mein Interesse schnell „Man merkt die Absicht und man ist verstimmt“, Wilhelm Busch. Dieser Stil hätte zu Zeiten von Enid Blyton noch besser funktioniert.

Dazu kommt, dass die Handlung dahintröpfelt, es passiert nichts, es wird vielmehr Wert auf die Beziehungsebene gelegt. Das wäre im Prinzip in Ordnung, doch G. Paris ist bei der Gestaltung der Charaktere dann doch faul und oberflächlich; ist das Verhältnis zwischen jüngerem Bruder und älterer Schwester, die sich nur für Jungs interessiert, noch einigermassen ausgemalt, bleibt das komplizierte Geflecht der lesbischen Frauen, die die Elternrolle übernommen haben, vollkommen auf der Strecke. Von hier aus hätte der Roman massive Kraft zur Entwicklung gehabt, aber diese Linie hat der Autor nur angedeutet und insoweit sein Thema verschenkt.

Ein Ausflug in die Magie soll das Interesse der kindlichen Leserschaft bei der Stange halten und eine Utopie von Abenteuer vermitteln, aber dafür ist das magische Moment wiederum zu schwach auf der Brust. Der Roman ist nichts Halbes und nichts Ganzes, und doch vermag dieser Glühwürmchensommer eines, nämlich Sehnsucht nach dem Mittelmeer hervor zu rufen und Atmosphäre zu schaffen.

Die vom Autor gewählte Mischform, Realität plus einem Spritzer Magie, macht den Roman unrund. Er setzt sich weder als Familienroman mit einer schwierigen Familenaufstellung auseinander noch legt er als Kinder- und Abenteuerbuch genug Action oder Spannung auf. Man möchte den Roman zum Psychiater schicken, damit er sich selber findet und Eindeutigkeit erlangt.

Fazit: Einerseits stimmungsvoll und idyllisch, andererseits etwas altbacken und beinahe schon langweilig.

Kategorie: Jugendbuch
Berlinverlag/Piperverlag GmbH, 2015