Schmöker mit Thrillerelementen

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lillywunder Avatar

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Als "literarischer Thriller" wird das Buch verkauft, und während ich früher Thriller nur so verschlungen habe, bin ich heute froh, dass "Der Gott des Waldes" für mich eher ein "gesellschaftskritischer Familiendrama-Schmöker mit Thrillerelementen" war (würde ich so auch nicht aufs Buchcover drucken, tbh).

Schließlich geht es hier ja auch um einen Kriminalfall, nämlich verschwundene Kinder. Das "Camp Emerson" liegt in einem großen Naturreservat in den Adirondack Mountains. Die wohlhabende Familie van Laar hat sich hier ihren eigenen Rückszugsort geschaffen und lädt jedes Jahr im Sommer die Kinder aus der Umgebung zu einem Sommercamp. Als ihre eigene Tochter Barbara erstmals am Camp teilnimmt, ist ihr Bett eines Morgens plötzlich leer - 14 Jahre nachdem bereits Barabaras kleiner Bruder "Bear" in derselben Wildnis verschwunden ist.

Das Camp in den Mountains ist schon ein ziemlich geniales Setting, hat mich atmosphärisch absolut abgeholt. Auch den Aufenthalt in den 60ern/70ern fand ich überraschend gemütlich, die Abgeschiedenheit, die Stapel an Papierakten, die Langsamkeit von Daten und Kommunikation. Es geht zwischen verschiedenen zeitlichen Ebenen hin und her, die Wechsel waren stilistisch sehr gut umgesetzt, sodass es kein Problem war, den Überblick zu behalten. Viele Stimmen tragen diese episch angelegte Erzählung: natürlich Stimmen aus der Familie van Laar, aber auch Erzählperspektiven der Dorfbewohner, der Polizei, oder der Camp-Teilnehmenden. Was auf diese Weise sehr deutlich wird, sind die großen Differenzen in den Lebensrealitäten zwischen Arm und Reich, Frau und Mann, die soziale Ungleichheit und die ungerechte Verteilung von Möglichkeiten (teure Anwälte zum Beispiel sind hier ihr Geld wert). Großer Reichtum geht bei den Van Laars allerdings auch einher mit großer Traurigkeit, selbstverständlich gut verborgen hinter der Fassade des großen Anwesens. Eine komplexe Familientragödie, die mehrere falsche Fährten legt (denen ich ehrlicherweise meist nicht gefolgt bin) und eine Auflösung, die für mich gut zum Rest des Buches passt, allerdings kein echter Aha-Moment war, eher ein "Achso, okay, naja"-Moment. Die fast 600 Seiten unterstreichen die Schmöker-Qualitäten und es unterhält stets so zuverlässig, dass man beim Lesen schnell vorankommt. Durchaus ein Buch für ein Wochenende, ein spannend-gemütliches - große Empfehlung!